Was sehen sich die Leute heutzutage nicht alles im Internet an. Wie jemand sich kaltes Wasser über den Brägen kippt, Spinnen schluckt oder sich des Unterkleids entledigt. Aber auch sehr viell Lehrreiches gibt es im großen Netz. Seit ich mich hobbymäßig der Gärtnerei verschrieben habe, weiss ich das sehr zu schätzen. Ohne entsprechende Anleitung per Text oder Video wüchse Kakao in meinem Gärtchen ebensowenig wie Weihnachtssterne. Manches gelingt besser, anderes weniger gut. Den Trick, die steinharten Früchte Afzelia Xylocarpa über Nacht zum Keimen zu bewegen, habe ich sehr erfolgreich angewandt. Bei Teak-Samen blieb es beim Versuch.

Lebt man nun in einem Land, dessen Küche bekannt ist für etwas würzige Speisen, liegt der Gedanke nicht fern, sich auch mal mit dem Anbau von Chili zu befassen. Schließlich hatten sich auch schon ein paar der Sträucher eher nach eigenem Ermessen angesiedelt und Früchte getragen, ohne dass jemand nach exakter Sortenbestimmung gefragt hätte. Ach herrje, was für ein weites Feld, vom schnöden Gemüsepaprika bis zu Carolina Reaper mit satt über 2 Millionen Scoville. Ja, das habe ich dabei auch gelernt, Scoville ist die inzwischen wissenschaftlich fundierte Einheit für die Schärfe der Chilischoten. Hierzulande meint man, mit den nur einen Zentimeter lange Mäusedreck genannten Schötchen schon etwas Solides aufbieten zu können. Tatsächlich liegen die etwa 100.000 Scoville eher im her- und bekömmlichen Bereich der Schärfeskala. Das Surfen machte mich auch mit den echten Scharfmachern bekannt, darunter der langjährige Spitzenreiter Ghost Pepper (Bhut Jolokia, 1 Million Scoville) und dem augenblicklichen Rekordhalter Carolina Reaper. Anbautipps und erforderliche Umweltbedingungen lieferten die Webseiten auch. Das brachte mich auf die Idee eines Experiments. Warum sollte, was in Indien zu Hause ist oder im südlichen Teil der USA wächst, nicht auch in Laos gedeihen.

Die Frage nach den entsprechenden Samen beantwortete das www auch gleich, denn Dutzende Firmen priesen ihre Dienste. Ich blieb hängen bei best seeds online. Gute Website, umfangreiches Angebot und weltweit free shipping. Der Firmensitz in den Niederlanden suggerierte eine Art natürliche Verbundenheit der Macher mit Blumen und Gemüse. Also startete ich Experiment 1: Kauf von Sämereien online vom anderen Ende der Welt. Das war kurz vor Weihnachten, exakt am 18. Dezember 2021. Geordert habe ich je 200 Samen Ghost Pepper und Carolina Reaper. PayPal schickte mein Geld hin und die Firma flugs die Auftragsbestätigung zurück. Da auch in Holland Weihnachten war und ich die Mitarbeiter weit eher unter geschmückter Tanne oder beim wärmenden Glühwein den Jahreswechsel vorbereiten sah als Samenbestellungen zu bearbeiten, wies die Versandbestätigung vom 27.12. auf für die Umstände rasche und routinierte Erledigung. Ich verdoppelte erwartungsfroh die wöchentliche Tourenzahl zur Post, ohne jedoch die ersehnte Sendung im Postfach zu finden.

PostsendungAm 23. Februar fand ich dann eine Benachrichtigung, dass eine Postsendung aus Singapur da sei. Singapur? In dem Zusammenhang dachte ich an alles, aber nicht an Samen aus Holland. Der war aber drin in dem postkartengroßen Luftpolsterumschlag. Nochmals doppelt verpackt in einen wiederverschließbaren silberfarbenen Tütchen und zwei briefmarkengroßen Klarsicht-Zip-Tüten mit der Aufschrift „1“ und „2“. Dazu ein „Lieferschein“ von minimalistischen Ausmaßen. Korrekt vermerkt war darauf „200 pcs. Ghost Pepper seeds“ und „200 pcs. Carolina Reaper seeds“.

Damit konnte Experiment 2 beginnen, der Anbau. Im Internet hatte ich gelesen, dass das Einweichen der Samen in Schwarztee den Keimvorgang bei nahezu allen Pflanzen der Capsicum-Famile stimulieren soll. Also, vorsichtig wie ich bin, je 10 Samen in getrennten Bechern über Nacht im Tee gehalten, um sie am Folgetag einzeln in deutlich gekennzeichnete Blumentöpfchen auszubringen. Nach etwa einer Woche zeigten sich 3 Pflänzchen in den Ghost Pepper Töpfen. Bei den Carolina Reapern rührte sich nichst. Kein Thema, erstens lehrte das Netz, dass die CR-Samen etwas länger brauchen könnten und dank der Reserven konnte ich ja auch eine zweite Runde an den Start bringen. Inzwischen bin ich bei Runde 5, nun ohne Tee und Vorkeimerei, und habe aus der Ghost-Pepper-Tüte zehn Pflanzen gezogen, aus der mit den Reapern drei. Kein durchschlagenender Erfolg, aber immerhin. Die Pflanzen aus der Ghost-Pepper-Tüte machten sich gut, fingen an zu blühen und auch Früchte zu entwickeln. Inzwischen war ja auch der Mai gekommen.

BSO-Ghost Pepper
Ghost Pepper auf beestseedsonline.com

Stutzig wurde ich, als die schlanken Früchte beharrlich mit der Spitze nach oben wuchsen. Vergleiche mit Bildern von Ghost Pepper (Bhut Jolokia) von der Best Seeds Online-Seite wie aus aller Welt zeigten: das Zeug wuchs überall zu rundlichen Schoten in hängender Position, ähnlich dem nah verwandten Paprika. Mir wurde klar, dass das kein Ghost Pepper sein konnte.

Hier nun beginnt Experiment 3: der Kundendienst. Natürlich bietet die Webseite einen solchen, an den ich mich am 27.5.22 mit der Information über den ungewöhnlich wachsenden Chili und zwei Fragen wandte: ob ich irgendwie in den Besitz der ursprünglich bestellten Ghost-Pepper-Samen kommen könnte und welche Sorte mir da fälschlicherweise zugesandt worden war. Die prompte Antwort kam von einem „Agent Suport Team“ und lautete: „They are not fully grown yet, please wait for the seeds to grow.

Chili-02
Foto an den Kundendienst

Als Antwort übermittelte ich dieses Foto, das einerseits zeigte, dass die Samen sehr gut gewachsen waren und andererseits belegte, dass die Früchte nicht so wuchsen, wie sie sollten. Wieder kam schnell eine Reaktion. Sie lautete: „We are going to investigate what happened with your order. Please be patient, we will get back to you soon.“ Das war am 28. Mai 2022.

Also übte ich mich in Geduld und nutzte die Zeit, meinen Chili zu beobachten und eigene Nachforschungen anzustellen. Meine erste Frage beantwortete die Natur etwa 2 Wochen später, als nämlich die ersten Früchte begannen, sich rot zu färben. Das erleichterte die Suche nach in Frage kommenden Züchtungen deutlich. Wenn auch insgesamt die Zahl der bei der Suche nach „slim upright growing pepper“ eine nicht zu große Auswahl brachte.

Thai Dragon 01
Thai Dragon Chili
Chili-03
Hält dem Vergleich zum Balkon stand

Nach Vergleich wirklich vieler Fotos habe ich wohl Grund zu der Vermutung, es könne sich bei dem auf meinem Balkon wachsenden Gemüse unter Umständen um Thai Dragon Chili handeln. Erste Verkostungen ergaben, dass das Zeug zwar scharf ist, doch eher auf dem Niveau des einheimischen Mäusedrecks, was mit der Einordnung von Thai Dragon auf der Scoville-Skala übereinstimmt. Am 3. Juli wollte ich dann nicht länger geduldig sein und wandte mich erneut hoffnungsvoll an den Service. Wieder kam prompt eine Antwort, doch sie fiel etwas anders aus als erwartet: „Please check the order confirmation carefully! We did send you the correct product you ordered.
So we won’t refund your order because the product is delivered within the maximum shipping period and the correct product is shipped.

Das ich keinesfalls der Meinung war, nur weil der korrekte Name auf dem Packzettel stand müsse dann das Gewächs automatisch das richtige sein, schickte ich die oben gezeigten Vergleichsbilder an den Agenten und erlaubte mir anzumerken, dass ich meine Erfahrungen mit dem Service in einschlägigen Online-Foren mitzuteilen gedächte. Einen Hinweis, dass ich – siehe die zwei Fragen weiter oben – gar nicht auf Erstattung des Kaufpreises aus war, tat ich dazu.

We did send you the correct product you ordered. Due to the fact that we still want to contribute to a solution we can offer you a resend.“ So lautete das neue Angebot. Gut, das würde mich wenigstens in die Lage versetzen, Experiment 2 in der Hoffnung auf nunmehr echte Ghost Peppers zu wiederholen. Erleichtert stimmte ich zu um am folgenden Tag eine neue Email zu erhalten. Die lässt mich nun an der Biologie als Wissenschaft wie auch an der Logik menschlichen Denkens zweifeln:

I just contacted with our warehouse. We can not resend the seeds. We’ve send the correct seeds. The reason for this is the lack of potassium fertilizer in the soil, you need to regularly add potassium fertilizer to the plants.
We did send you the correct product you ordered. Due to the fact that we still want to contribute to a solution we can offer you a 30% refund immediately.

Wie kann der Mangel kann Kalidünger der Grund dafür sein, dass die richtigen Samen versandt wurden? Wie könnte, was wahrscheinlich gemeint war, der Mangel an Kalidünger einen Ghost Pepper, der laut Veröffentlichungen ein Hybrid aus Capsicum chinense und Capsicum fructescens ist, plötzlich die Art zu Capsicum annuum (der biologischen Bestimmung von Thai Dragon Chili) ändern? Züchter in aller Welt werden dies sicher mit großem Interesse lesen.

So stehe ich weiter vor dem Rätsel, wie aus dem Samen einer Art ein Pflanze eine anderen Art wachsen kann. Übriens ergaben umfangreiche Recherchen im Internet, dass Kalimangel bei Capsicum zu hängenden,  schlaffen Blättern führt. Dass sich hängende in stehende Früche verwandeln, ist nirgends erwähnt. Wahrscheinlich sind einfach meine Anforderungen an ein Ghost Pepper zu hoch. Ob nun Ghost oder Dragon, letztlich alles Fabelwesen.

Übrigens, die angekündigte sofortige Rücküberweisung von 30% ist auch noch nicht da. Please be patient.