Eine Meldung macht gerade die Runde durch viele deutschsprachige Medien: die Stinkmorchel ist von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) auf einer Tagung im thüringischen Bad Blankenburg zum «Pilz des Jahres 2020» auserkoren worden. Nun ist der europäische Phallus impudicus (unzüchtiger Penis) zwar nicht ganz identisch mit dem hiesigen Phallus indusiatus, doch soll der Ehrentitel Anlass genug sein, die Geschichte noch einmal hervorzukramen.

Geht man durch den Garten, ich meine den tropischen rundherum um unser Häuschen, findet man immer wieder etwas Neues. Oft ärgert man sich, wenn etwa die Kinder wieder mal einer exotischen Pflanze der Garaus gemacht haben. So geschehen nun auch mit dem dritten Anlauf, an einem Platz nach längerer Pause ein Bäumchen zu pflanzen. Zwei Versuche, einen Avocadobaum ansässig zu machen, waren schon fehlgeschlagen. Und dem dritten, diesmal einen Canistelbaum zu ziehen, war das gleiche Schicksal beschieden. Canistel? Auch zu finden unter Eifrucht, offiziell Pouteria campechiana. Falls ein solcher Baum es bei uns je zu Früchten bringt, komme ich darauf zurück.

Andererseits trifft man auf neue Gewächse oder auch solche, die schon länger da sind, aber konsequent ignoriert wurden. Den ignorierten Exoten gilt heute meine Aufmerksamkeit. Natürlich nicht ohne Grund. Schon länger beobachtete ich in einer Ecke des Gartens verschiedene Pilzsorten, die dem Stück Erde zu unterschiedlichen Jahreszeiten ein teils sonderliches Aussehen verliehen. Da ich aber bezüglich Pilzen schon seit Kindestagen dem Ratschlag meines Vaters, eines passionierten Pilzsammlers, widerspruchslos zu folgen wusste, nur die Sorten zu nehmen, die ich sicher bestimmen konnte, nahm ich die Exemplare im Garten allenfalls als Dekoration wahr. Ja ich wäre niemals auf die Idee gekommen, Pilze aus heimatlichen Kiefernwäldern in kulinarische Beziehung zu Fungi tropischer Ländereien zu setzen. Bis mir eines Tages ein Prachtexemplar  ins Auge fiel, dessen fotografisches Abbild ich in einem Netzwerk verbreitete.

Pilz 01Natürlich dauerte es nicht lange, bis das Foto die Fantasie einiger Leser anregte und ich die Frage nach einem im Garten vergrabenen Liebhaber erhielt. Eine gewisse Ähnlichkeit ist ja nun nicht zu leugnen, wenn auch nicht mit dem kompletten Kerl, so doch mit einem substantiellen Teil von ihm. Und was dem einen der brandenburgische Spargel, das mag dem anderen ein laotischer Fungus bieten. Ob das Abbild da nun auch Neidgefühle erweckte, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf alle Fälle hätte sich die Angelegenheit an dieser Stelle weitgehend erledigt. Wenn da nicht ein-zwei Tage später ein zweiter SchleierpilzSporenträger des Gewächses in verzückender Form in Garten gestanden hätte. Das, so hatte ich angesichts des filigranen Schmuckes gefolgert, schafft selbst der beste Casanova nicht. Mich allerdings machte es neugierig, nun wirklich wissen zu wollen, was da so in meinem Garten ohne mein bewusstes Zutun spross.

Es war nur eine kurze Recherche, denn so auffälliges Aussehen lässt sich nicht gut verbergen. Und siehe da, die Sache mit dem Liebhaber war so abwegig nicht. Phallus indusiatus hat die Wissenschaft den Pilz getauft, was man etwas roh mit „Glied im Schleier“ übersetzen könnte. Einige Quellen schreiben etwas vornehmer „tropische Schleierdame“, was nichts an der Tatsache ändert, dass die verschleierte Männlichkeit zu den Stinkmorcheln gerechnet wird. Morchel ist ja schon schlimm genug, aber nun gleich Stinkmorchel.

StinkmorchelAber es gab auch Positives zu berichten. Der Pilz ist nicht nur schlicht essbar, er findet in der „gehobenen chinesischen Küche“ Verwendung. Eine Rarität in China, weshalb er einigen Quellen zufolge einst nur vornehmen Leuten bis hin zum kaiserlichen Hof vorbehalten war und in jüngerer Zeit selbst Henry Kissinger aufgetischt wurde, findet er sich in den tropischen Ländern in großer Zahl.

Klar es es bei einem solch verräterischen Aussehen auch Mutmaßungen über einschlägige Wirkung gibt. Forscher wollen in Hawai im 2001 in Untersuchungen festgestellt haben, dass allein der Geruch der Stinkmorchel bei Frauen einen spontanen Orgasmus auslösen kann. Nun wurde der Versuch bislang nicht wiederholt und ich möchte es auch nicht darauf ankommen lassen, vorzugsweise weiblichen Besuchern meinen Garten zum Selbstversuch zur Verfügung zu stellen. Schließlich haben die Forscher ja auch festgehalten, dass männliche Testpersonen vom unappetitlichen Geruch eher abgestoßen wurden.

Eine Stinkmorchel eben. Und sie wächst – das sei warnend hinzugefügt – aus einem Hexenei.