10.09.2023

Hallo, eingefleischte geduldige Fans, ich bin noch da. Ist zwar nicht ganz sot einfach, aber wie man sagt, machbar.

27.08.1923 14:00

Wenn rasieren zur Herausforderung wird und zwanzig Stufen unüberwindlich, dann läuft irgenwas nicht zur vollen Zufriedenheit. Wenn nach zwei Zeilen Texteingabe die Augen zufallen, dann ist etwas faul im Saate Dänemark. Wir versuchen, mit dem Udon Kresbzenrum in Kontakt zu kommen, was auch nicht einfach ist, schließlich steht Sonntag im Kalender.

25.08.2023 18:40

Wie lange kann man schlafen? Offenbar kann sogar zu lange schlafen? Etwa so geht das, sieben Stunden im Schlaf im Normamodus, und wenn ich dann vor dem Computer sitze, kommt ungefragt das Männchen mit dem Hammer und haut mich um.

Wie lange kann man schreiben? Da einige von Euch bemerkt haben, wie wichtig das für mich ist, bleibe ich diesbezüglich an der Feder (oder besser Tasten).

22.08.2023 16:30
Bestrahlungsgruppe
Bestrahlungsgruppe

Plötzlich und unerwartet wieder zu Hause. Und das geht so: weil es auch zwischen Thai und Lao genug Platz für Missverständnisse gibt, waren wir baff erstaunt, als der Mann an der Bestrahlungskanone plötzlich sagte: „So, fertig!“ Wir hatten wirklich fünf Zyklen à fünf Bestrahlungen auf dem Schirm und uns heftig geirrt.

Aber so ist es sogar besser. Der Termin mit der Onkologin brachte dann einen neuen Rückschlag durch Zurückversetzen in die Warteschleife. Warteschleife? Was sich technisch erst einmal anhört, wie die Aufforderung an ein im Landeanflug befindliches Flugzeug, doch besser noch eine Runde zu drehen, um dann eine Landebahn zugewiesen zu bekommen. Kritisch wird es, wenn inzwischen der Kraftstoff knapp werden sollte. Und das ging vielen meiner Landsleute damals so. Vom wohl nicht überzogenen Diplomatengehalt von 1.260 M erhielten wir 70%, macht 886 DM. Die erste Mietrechnung nach dem Beitrag forderte statt 125 M nun stolze 555 DM. Und die Schrippe war auch nicht mehr für fünf Pfennig zu haben. Dafür wurden der Farbfernseher und der Deutschen Fetisch Auto deutlich erschwinglicher. Doch wie viele Farbfernseher braucht man pro Monat? Auch derBegriff Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) war irreführend, ging es doch in erster Linie um Abqualifizierungs-Beschleunigungs-Maßnahmen, die tausende Hochschulabsolventen möglichst lärmfrei mehrere Etagen tiefer auf der sozialen Leiter und ohne sichtbaren Einfluss auf die Arbeitslosenstatistik (blühende Landschaften) wieder einräumen. Der von mir belegte Kurs nannte sich PR-Assistent. Zugelassen wurde ich, weil ich als Presseattaché der Botschaft einschlägige Erfahrung vorweisen konnte. Alle der anfänglich 26 Teilnehmer hatten mindestens Diplomabschluss, 50% davon hatten in Leipzig Sektion Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig die Sektion Journalistik absolviert, drei einen Doktortitel. Insgesamt lag das intellektuelle Niveau der Teilnehmer deutlich über dem der meisten Dozenten. Vorkenntnisse, die zur Teinahme adelten, fand man u.a. bei der ehemaligen Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Palastes der Republik, der abgewickelten Leiterin der Abteilung Spielfilm des DFF und und einer Philosophie-Dozentin mit Doktorhut, die zu zuletzt an der Uni in Luanda gearbeitet hatte.

Wieder in Udon stellt sich die neue Warteschleife weniger folgenreich dar. Denn erneut lag nach 14 Tagen kein Analyseergebnis vor und die Festlegung der Chemotherapie kreist weiter über uns. Da die Ärztin praktisch veranlagt ist, gab sie uns zwar einen neuen Termin für den 05.09.23, schob aber sofort nach, sollten die Ergebniss der Gewebeuntersuchung früher eintrudeln, gäbe sie uns Bescheid und würde einen früheren Termin vorschlagen. Das hört man gern. Nun erst einmal Pause und Warteschleifen ziehende Objekte beobachen. Die Pause sollte uns allen gut tun.

21.08.2023 16:00

„Zum Abend werden die Faulen fleißig,“ pflegte Oma zu sagen. Das meint in diesem Fall nicht meine Oma, sondern meine Mutter, die nach der Geburt der ersten Enkel einfach in die nächste Generation erhoben wurde. Mit Fug und Recht, kann man hier nur sagen. Sie war nicht nur eine herzensgute Frau, sondern voller Lebensweisheiten und nie um einen guten und meist auch flotten Spruch verlegen.

Inzwischen scheint es mir eine direkte Verbindung zwischen Bestrahlung und Erschöpfungszustand zu geben. Ein Mittagsausflug in Central Plaza Udon endete jedenfalls damit, dass ich, wo auch immer ich war, nach der nächsten Sitzgelegenheit Ausschau hielt, die am besten nicht weiter als 20 Meter entfernt zu warten hatte.

RVG

Im Krebszentrum eigentlich trockene Routine, mit einen kleinen, aber wesentlich Unterschied: Hatte ich schon am Freitag versucht, durch ein kurzes Sabaidee kundzutun, dass ich die Patienten in unserer Behandlungsreihe zumindest wiedererkannte, so war die Stimmuung heute deutlich gelöster. Das Sabaidee wurde, mit einem Lächeln versehen, erwiedert und auch die Thais untereinander, die bislang mit dem Gesichtsausdruck der für Kanada in und um Chiang Mai gefertigten Totempfähle nordamerikanischer Ureinwohner dagesessen hatten, tauschten untereinander Grüße und Lächeln. Der Gemüseteller zeigt nicht nur Grünzeug, sondern macht den Weg frei zu einer anderen Wortschöfungsglanzleistung; RVG. Lieblich und reizend steht sie da, die monumentle Wortschöpfung: Rauhfutter verzehrende Großvieheinheit.

Eine weitere Beobachtung: es gibt sie, die schier unendlich großen Kraftfahrzeuge, mit denen Patienten vor das Zentrum rollen. Die nehmen natürlich Platz weg und stehen im Licht. Sitzt man dagegen auch nur fünf im Minuten auf das eigene Transportmittel wartend vor dem Eingang des Zentrums, so verschiebt sich der Eindruck deutlich und die Zahl der Familien, die aus von asthmatisch röchelnden Motoren getriebenen Tuk-Tuks und Jumbos klettern, um in der Regel ein älteres Familienmitglied zur Behandlung zu bringen, scheint doch in der Überzahl zu sein. Viele von ihnen wissen dabei nicht, wo sie das Geld für die nächste Behandlungsrunde auftreiben sollen.

19.08.2023 19:45

Wieder einmal ein schon gebrauchter Tag. War wohl eine weniger excellente Idee, den Tag mit einem Fünf-Minuten-Sportprogramm beginnen zu wollen. Nicht nur die Ergebnissen lagen deutlich unter denen von vom 15.08. (367m statt 390m, von 88cm auf 72cm verkürzte Schrittlänge), die niederschlagende Wirkung auf den Blutdruck hielt bis in die Abendstunden an.

Hinzu kam dieser Vier-Stunden-Höllentrip durch die tiefsten Schlaglöcher der Stadt bis hinaus nach Naxaythong. Nun gibt es aber auch weitere Optionen, die S. offenbar besser zusagen als die klassische Medizin. Nun so viel:  Wir bleiben auch da dran. Lehre des Tages: ich muss unbedingt kürzer treten. Wenn ich am Dienstag erfahen sollte, wie die Chemo strukturiert wird, bleibt wohl kein anderer Weg, als meinen Urlaub einzusetzen.

18.08.2023 06:45

Letzter Akt für diese Woche. Frühstück erledigt, alles ins Auto getragen und gelesen, welche Überraschungen das vorsichtshalber verschriebene Präparat Dexamethason bereithält. Und siehe da, es führt zu rapidem Muskelabbau. Genau das ist im Moment der Knackpunkt, der Bewegungsapparat. Neben den Kleinigkeiten wie Hormonspiegel und Blutdruck. Es ist wie auf dem Jahrmarkt, wo nach Zufallsprinzip diese Kasperköpfe aus einem Kasten hochschnappen und die Kinder versuchen, ihnen mit oft überdimensionerten Hämmern eins über den Bregen zu ziehen.

Bei mir geht das so: Toast rein, Blutdruck runter. Kaffee rein, Blutdruck hoch. Langsam bekomme ich eine Vorstellung von ausgewogener Ernährung.

Kurz vor Eins kamen wir zu Hause an, kleine Pause, etwas essen und ab ins Büro. Bekloppt, werden viele von Euch sagen. Kann ich nur zustimmen, Bekloppt, dass ich offenbar nicht richtig oder nicht ausreichend krankenversichert bin.Und für Berater ist nun mal keine Honorarfortzahlung im Krankheitsfall vorgesehen.

 

17.08.2023 11:00

Alles zurück zu den alten Abläufen? Pünklich um vier Uhr krähte der Hahn in meinem Kopf und sofort begann ein Hühnerschwarm flügelschlagend und wild durcheinanderlaufend darin zu krakelen. An Schlaf nicht mehr zu denken. Etwas wackelig laufe ich durch das Hotelzimmer. Es ist wie beim Elektriker: zwei Leitungen, Phase und Null, sind irgenwie etwas lose mit dem Netz verbunden, und der Schtzleiter sucht nach Halt, sei es ein Geländer, ein Tisch, eine Wand, oder eine helfende Hand. Immer wieder muss ich sitzende oder stehende Tätigkeiten unterbrechen, um die Füße hochzulegen und so zu entwässern.

Im Krebszentrum läuft alles in streng getakteter Routine. Anmeldung, Blutdruckmessung (heute mal wieder zu niedrig),  Rechnung bezahlen (angenehm übersichtlich), einchecken zur Bestrahlung, Maske festzurren, bestrahlen, Zwischenstopp im Coffee-Shop, Rückfahrt zum Hotel.

 

16.08.2023 10:30

Der erste Schuss ist gesetzt. Völlig unspektakulär, in einer Reihe zwischen zwei älteren und vom harten Landleben gekrümmten Frauen. Allein die Vorstellung! Das ganze Leben lang unvorstellbar hart gearbeitet, ach was, geschuftet, und kurz vor Schluss gibt es als Prämie einen Krebs dazu. Diese Frauen kommen oft daher wie 70, wenn man sie fragt, dann sagen sie, dass sie 55 oder 58 Jahre alt sind.

Dicke Füße
Dicke Füße

Wir konnten uns Dank zu frühen Erscheines von Startreihe fünf (10:00) in die zweite Reihe vorschieben (Kampfrichter-entscheindung). Als größtes bleibt jetzt das Problem mit dem Bewegungsapparat. Da die quietschgelbeentchen Schuhe dieses Mal dabei sind: als wir sie kauften, war reichlich Luft zwischen Lasche und Fuß, jetzt bleibe ich schon auf halber Strecke stecken. Sitze oder stehe ich, schwellen die Füße ziemlich rasch an. Also musste ich mir ein neues Arbeitssystem ausdenken, um den Computer beackern. Maximal 30 Minuten sitzend am Schreitisch, dann 30 Minuten mit hochgelegte Füßen lang machen. Das ist zwar so produktivitätshemmend wie lästeg, aber es funktioniert, und zwar wie ein Pumpspeicherwerk – Wasser hoch, Wasser runter. Es fehlt noch, dass es gluckert. Negativpunkt: es wird keine Energie erzeugt.

 15.08.2023 05:30
  1. Mehr als sieben Stunden geschlafen, Blutduck normal, Termin zur Beantragung eines neuen Reisepasses bestätigt, Hotel reserviert – das lässt sich gut an. Wenn es dem Esel zu gut geht, … und es geht ihm heute definitiv gut. Also rauf auf den rutschigen Parcour und ein Ertüchtigungsprogramm (das schreibe ich als glühender Anhänger der Verwendung der deutschen Sprache auch eingedenk der Tatsachen, dass ich zu Zeiten des Beitritts öfter zu hören bekam, der Osten sei „russifiziert“, auch sprachlich (Beispiel: „wir gehen Mittagessen“ statt „wir gehen zu Tisch“) statt Fitness was mir eher nicht als originär deutsche Vokabel daherkommt. Also ein sehr kleines Ziel aufgestellt – für den Anfang: 5 Minuten gehen. Nein, nicht diese eingenartigen Verrenkungen, wie sie zu Olympichen Spielen oder Leichtathletik-Weltmeisterschaften von Zeit zu Zeit im Fernsehen zu beobachten sind. Sondern ganz gewähnliches, natürliche Gehen, einen Fuß vor den anderen setzend um in einer Zeit eine Entfernung zu überwinden. Ich war erstaunt, wie gut das ging und tat, und auch was, mein chinsischer -hoppla – Fitess-Tracker  da alles herauslesen kann (Zwischenfrage: wie viele chinesische Lehnwörter vewenden wir im Deutschen, außer denen für chinesische Speisen und Hunderassen?): In den besagten fünf Minuten habe ich auf dem Balkon 390m zurückgelegt, dazu 439 Schritte (79/min) und einer durchschnittlichen Schrittlänge von 88cm. Dabei erreichte ich eine max. Herzfrequenz von 104 und verbrauchte 29 Kilokalorien Energie.
13.08.2023 19:15

Ein sehr ereignisreicher Tag. Mein kleiner Sohn, der erst am Freitag seinen Führerschein bekam, sollte nach Fahrstunden auf einem Auto mit Handschaltung sofort auf Automatik umschulen. Hat der Junge nach nur kurzer Einweisung bravourös gemeistert, die gesamte Familie durch die Stadt kutschiert und dafür, wie ich auch, einen recht noblen Bürostuhl erhalten. Auf unserem Grundstück mussten, wegen Befürchtungen negativer Beeinflussung von Haus und Gartenmauer, drei solide Bäume roher Gewalt weichen. Um den Mangobaum war es nicht schade. Er trug nur wenige und dazu geschmacklich blasse Früchte. Der Jackfruchtbaum, laut Wikipedia der Obstbaum, der mit bis zu 120 kg schweren Früchten das größte Obst überhaupt liefert, hielt sich da weitgehend zurück und und gab sich mit einen einem Zehntel der gigantischen Maximalabmessungen weit bescheidener. Dennoch musste er nun seine Lieferungen abrupt einstellen. Dem Sternfruchtbaum (Carambola) weint niemand nach, endete die Vielzahl seiner Früchte doch auf dem Kompost. An seinem Platz wächst schon ein Avocadobaum.

Marcel war auch zufrieden, konnte er doch nach wochenlanger Pause endlich wieder mit der ganzen Familie außerhalb essen.

Gesundheitlich kaum etwas Neues, nur dass sich der niedrige Blutdruck nach dem Frühstück zu verstetigen scheint und mich dann erst einmal in dieWaagerechte knüppelt.

Tja, was noch? Die Premier League spielt wieder.

12.08.2023 07:30

Guten Morgen. Zu diesem Zeitpunkt sah alles noch hoffnungsvoll aus und ich wusste nicht, was für ein harter Tag mit bevorstand. Wenig später besuchte mein Blutdruck die unteridischen Gewölbe und warf mich zurück ins Bett. Nährlösung, Wasser und Kaffee brachten zwar den Blutdruck wieder zur Raison, doch jeder Anschlag auf der Tastatur artete in physische Schwerarbeit aus, vom Tempo gar nicht zu reden. Was kann man tun, wenn nach jeder Mahlzeit der Blutdruck die Kellertreppe hinunterpoltert? Erst einmal Ursachenforschung. Schon die Tatsache, dass es die Nahrungsaufnahme ist, die hier eine Rolle spielt, musste ergoogled werden. Also noch etwas kürzer treten. Ich vermute ja einen Zusammenhang mit dem geldschneiderischen ProSure von Abbott und habe das Zeug erst einmal vom Tisch verbannt. Abwarten und im Wortsinn (grünen) Tee trinken, alle herkömmlichen Kräutertees wirken blutdrucksenkend, denn Bluthochdruck ist ja die Volksseuche. Immerhin kam ich heute zu einem Tisch, den ich im Bett benutzen kann, denn ich soll ja wegen der Schwellungen die Beine hoch lagern, was in der augenblicklichen Konstellation zu manchmal schmerzhaften Verrenkungen führt.

11.08.2023 06:45

„Mr. Michael,“ sagt der freundlich lächelnde Thai-Grenzbeamte und hält meinen Pass hoch. Ich stelle mich in Sichtweite der Kamera und scanne die Finger meiner rechten Hand. Er knallt den Stempel in den Pass. Meine Frau erklärt, dass und warum ich lieber im Auto sitzen geblieben wäre. Er lächelt weiter und sagt schließlich: „Er braucht nicht mehr aussteigen. Machen Sie mit dem Smartphone ein Foto, das geht auch.“

Fünfzehn Minuten später auf der laotischen Seite: Nachdem an den Schaltern des Grenzpostens alles erledigt ist, fehlt nur noch die Unterschrift des Grenzbeamten in den  gelben Autopass. An der Grenzstation selbst ist kein Unterschriftsberechtigter zu sehen. Der, so die Vermutung vom Augenschein, wartet etwa 30 Meter weiter gemeinsam mit vier weiteren Uniformierten – drei im Grün der Grenzbeamten, zwei in Zollgrau – auf unterschiedlichem Gestühl vom einfachen Plasticstuhl bis zum Barhocker. Meine Frau fährt dicht heran und lässt die Scheibe herunter. Ich reiche die Dokumente hinaus, wie es normalerweise üblich ist, wenn sich die Beamten an ihrem Dienstort befinden. Die Dokumente sind in seiner Reichweite, er bräuchte keinen Schritt laufen, sondern sich nur vom Stuhl erheben. Demonstrativ blickt er in die Luft, wohl um mir zu verstehen zu geben, ich möge doch aussteigen und einen artigen Kotau machen. Den besorgte dann meine Frau.

Deshalb mag ich das englische Wort civil servant viel mehr als das laotische ເຈົ້າໜ່າທິ່, das dem Beamten fast schon gottgleichen Status verleiht.

230810 Morgen Doch erst einmal zwei Tage zurück. Am Krebszentrum angekommen, machen wir uns, Google Maps geleitet, auf die die Suche nach bed and breakfast. Zwei geschlossene Gästehäuser machen einen verwahrlosten Eindruck und zeugen eher von wirtschaflichem Niedergang. Meine Frau kam mit einigen Leuten ins Gespräch und siehe da, der ganze Ort diente als zeitweilige Niederlassungstätte für das nahe Krebszentrum. Ein Gästehaus ward uns emphohlen und mangels augenblicklicher Alternativen auch bezahlt und bezogen. Doch zeigte sich das Hüttchen, das eher die Bezeichnung Kopulationskammer verdient hätte, so ungastlich – Deckenhöhe von zwei Metern zehn, Bad im laotischen Landstil, was soviel bedeuted, als dass die Erbauer in einer früheren Inkarnation schon mal ein Foto von einem brauchbaren Bad gesehen hatten, dass wir beschlossen, unser Hab und Gut wieder mobil zu machen und uns erneut auf den Google-Maps-Pfad zu machen. Vom Besitzer der Anlage mit den kanariengelben Sexwürfel, der zuvor bescheidene 300 Baht eingestrichen hatte, war nichts zu sehen oder zu hören. Vielleicht stand er ja spähend hinter der Gardine, um so womöglichen Rückzahlungsforderungen zu entgehen.

Google führte uns zu einem Etablissement deutlich höheren Anspruchs, wenn auch der Zweck der Anlage zumindest teilweise identisch blieb. Punkteabstriche im Bad sind wir ja gewohnt, doch WiFi ist schon eine Errungenschaft. Zu Futter gibt es in dem Laden nicht, also noch einmal angeschirrt. Selten tat eine simple Reissuppe so gut!

Der folgende Morgen begann früh. Binsenweisheit! So standen wir schon um sechs statt acht Uhr vor dem Krebszentrum, wo schon Personal mit der Registrierung der Patienten begonnen hatte. Genau das hatten wir vermutet und wollten uns möglichst früh einreihen. Das war ja nun gelungen, denn wir hielten nun Nummer und Laufzettel in der Hand. Letzterer schickte uns zur ersten Station Radiologie ganz am Ende des rund 150 Meter langen Ganges. Dort sollte sich auch ein Restaurant finden. Meine Frau wuselte los, vor allem in der Sorge, vor dem Aufruf beim Doktor nichts gegessen zu haben. Dabei hatte der Wachmann klar und deutlich gesagt, dass die Restaurants um sieben öffnen würden. Jetzt war es 06:30. Die Ärzte sollten gegen neun erscheinen.

Ich hatte große Mühe, Schritt zu halten. Der Nahrungsentzugsstress meiner Frau wuchs und sie verließ das Zentrum, um an einem Staßenstand etwas zu beißen zu kaufen. Da waren wir wieder im Hauptgebäude, sprich die 150 Meter zurück gelaufen. Punkt sieben öffneten die Restaurants, wo man, auf halber Strecke des langen Ganges, sogar einen ordentlichen Caffè Latte kredenzte. Danach Radiologie, wo man mich wegen zu niedrigem Blutdruck auf eine Pritsche packte. Bei der Konsultation legte die Radiologin ihren Fahrplan fest: fünf Zyklen zu je fünf Bestrahlungen im Block, Beginn am 16. August. Trotz festgelegtem Termin sei mt Wartezeiten zu rechnen. Die Bestrahlung selbst dauere 20-30 Minuten, habe keine erwartbaren Nebenwirkungen, was erlaube, das Zentrum auch gleich wieder zu verlassen. Wir werden uns also nach einer Unterkunft vor Ort umsehen, denn tägliches Pendeln füllte den Pass in Windeseile mit roten und blauen Stempeln. Arbeiten, wenn möglich, kann ich auch online in einem Appartement- oder Hotelzimmer.

An jeder Station das gleiche Procedere: Registrieren, Blutdruck messen, auf die Waage steigen, auf Aufruf warten. Alles modern, hell, klinisch rein und gerätemäßig bestens ausgestattet.

Nächste Station CT-Scan mit Anfertigung einer Kopfmaske für die kommenden Bestrahlungen. Mittagspause und weiter zur Onkologie. Die resolute Ärztin machte sich sogleich daran, die Zügel der ganzen Behandlung in die Hand zu nehmen. Sie gab sachkundig und bestimmt Auskunft über den Gesamtprozess, was leider auch zu einem Rückschritt führte. Kann mir nur recht sein, solange da nicht weitere zeitliche Verzögerungen oder grundsätzliche inhatliche Änderunge resultieren. Hatte sich der Onkologe in Khon Kaen mündlich noch klar auf Bauspeicheldrüsenkrebs festgelegt und alle anderen Geschwülste im Kopf und anderswo zu Metastasen ernannt, flüchtete er sich im schriftlichen Abschlussbericht in den Konjunktiv. Es wimmelt dort von Fornulierungen wie: “ es könnte sein“, “ es sieht so aus“, “ es legt nahe“, aller Whrscheinlichkeit nach Folge davon, dass es inzwischen auch in Thailand mehrere aufsehenerregende Gerichtsverhandlungen gab, in denen bekannte Ärzte wegen Fehldiagnosen und -behandlungen verklagt worden waren. Die Leidtragenden sind die Masse der Patienten. Die Udon-Onkologin ergriff sofort die Initiative und bat um die Gewebeproben, um sie erneut zu analysieren. Leider hatte man uns die Schnippelstücke in Khon Kaen entgegen ursprünglichen Zusagen nicht ausgehändigt und so machte sich meine Frau heute in aller Herrgottsfrühe allein erneut auf den langen Ritt, erstritt die Abschnitte und lieferte sie auf dem Rückweg wohlbehalten in Udon ab. Endlich scheint alles auf der richtigen Bahn zu sein. Aber noch mal kurz ins Krebszentrum am Vortag. Das Hetzen auf der 500-Meter-Laufstrecke und in den Behandlungsgebäuden, aber wohl noch stärker der schwache Blutdruck hatten mich zum Nachmittag dann echt geschafft, so dass ich den Transfer zur Onko-Psychologie dann, eine weitere Novität, im Rollstuhl zurücklegte. Bei den Psychologen gab es dann eine gewaltige Überraschung. Wegen des Krankengefährts nicht in der Lage, mich eigenständig zur Tür zu drehen, musste ich anfangs ausschließlich auf akustische Infomation bauen. Die die kam überaus verwirrend. Schock! Erster Gedanke: das kann eigentlich nicht sein. Eine Frau war ins Zimmer getreten und hatte sofort zu sprechen begonnen. Tonfall, Tonlage, Sprachduktus – ein perfekter Klone von V., einer mir gut bekannten Druckereimitarbeiterin in Vientiane. Also nennen wir sie auch V2. V2 umrundete mich samt Rollstuhl und löste den nächsten Schock aus. Köperbau, Bewegungen, selbst der Haarschnitt – alles Eins-zu-Eins. Wer wollte mich hier zum Narren halten? Ganz sicher war ich mir immer noch nicht, doch die Logik obsiegte: es konnte einfach nicht V. sein! Sie textete mich zu wie es V. besser nicht hätte tun, können, gab uns Mut und ihre Line-Nummer, um mehr Mut abzurufen. Dabei steht mir augenblicklich der Sinn danach, endlich mit Aktion zu beginnen. Die Onkopsychologie war Station Nummer acht (einschließlich Medizinausgabe und Kasse) des Tagespensums.

Als ich endlich im Auto saß, die geschwollenen Füße regelwidrig auf dem Amarturenbrett, dachte ich, das gibt morgen ein saftiegen Muskelkater. Dem Gedanken folgte ebenso flink ein zweiter: wenn noch genug Muskeln da sind, einen halbwegs ordentlichen Kater zu ernähren.

09.08.2023 13:20

Ein weiterer Zwischentag. Wir werden zwar gleich nach Udon aufbrechen, doch der Termin im Krebszentrum ist morgen früh um acht. Am Morgen unliebsame Entdeckung: die letzten Tage mit viel Regen und Wolken und komplett ohne Sonne führten zu einem Phänomen, dass ich in 40 Jahren Laos noch nicht erleben durfte und mich sofort an Hanoi erinnerte. Scherzhaft sagten wir dort, wenn man das Frühstücksbagette an die Wand wirft, bleibt es kleben. Niemand hat es probiert. Weit schlimmer war, dass die Sachen im Schrank vor allem die Schuhe im Regal zu schimmeln begannen. So nun erstmals auch hier. Selbst vor unseren Buddhafiguren zeigte der Schimmel kein Ehrerbieten und überzog sie mit einer äußest unfeinen, grünlichen Schicht.

In Kolonialzeiten half man sich mit einem Trick: es wurden – damals noch herkömmliche – Glühbirnen IN den Schränken installiert, wo die von den Lampen ausgestrahlte Wärme für ausreichend Verdunstung sorgte,um die Schimmelbildung zu stoppen. Sicher eine brauchbare Lösung. Nun haben sich inzwischen die Leuchtmittel verändert und die Lösung ist eher auf mittel-bis langfristige Wirkung ausgelegt. Im heutigen Fall will wohl die Sonne ihre Rolle wieder selbst übernehmen, zeigte sie sich doch mehrfach für ein paar Minuten. Die Wettervorhersage verspricht ab morgen ein Ende des Wolkenvorhangs und Sonnenschein.

08.08.2023 06:50

Hunger! Tatsächlich, Hunger hat mich aufgeweckt. Ein Gefühl, dass ich seit vielen Tagen, ach was, Wochen nicht mehr verspürte. Wenn ich nun noch essen könnte, worauf ich Appetit habe, und nicht, was man mir als gesund und nützlich vorsetzt.

Es bleibt ein Seiltanz zwischen physischer Konstellation und Pflichtbewusstsein. Vieles geht deutlich langsamer von der Hand, ich werde schnell müde, der Muskelabbau ist erschreckend.

Die richtige Überraschung folgte am Abend, als plötzlich Kartoffeln auf dem Teller lagen. Richtige Kartoffeln! Das war nach einem recht anstrengenden Arbeitstag, wenn auch das sehr wichtige Meeting wegen eines noch wichtigeren ausfiel.

06.08.2023 07:45

Etwas später heute. Kein Wunder, nach fast zehn Stunden sehr wohltuendem Schlaf. Gestern war eigentlich ein Tag zum Vergessen, an dem ich mich auf algenbewachsenen, sehr schlüpfrigen Grund bäuchlings in den Dreck gelegt habe. Zum Glück konnte mein Sohn mich halbwegs abfangen und verhinderte so Schlimmeres. Das Drama wurde direkt am Eingang von i-Furniture am km 9 in Szene gesetzt, wo wir nach kurzer Grobreinigung auf der Toilette (nobel angelegt, aber Urinale laufen nicht ab, Wasserhähne wie üblich auf halb zwölf, sprich lose) zwar unseren Vostellungen entsprechende Bürostühle fanden, die Verkäufer aber auch nach vielen Telfonaten nicht in der Lage waren, uns einen Preis zu nennen.

Ausflug in den Garten Ban Xieng Da. Was früher ein Abstecher war (Fahrzeit fünf Minuten), mutierte zu einem Unternehmen mit Fahrer, dem Kleinen als sehr unwillgen, teilweise renitenten Gartenhelfer (Gartenarbeit ist so gar nicht sein Ding) und Kapellmeister Marcel. Jedenfalls tat mir die halbe Stunde an der frischen Luft außerordentlich gut. Wenn nur der Regen endlich aufhörte und ein paar Sonnenstrahlen für mehr Freundlichkeit sorgten.

04.08.2023 05:30

Nun wird tatsächlich eine Serie draus. Der Versuch, etwas Normalität in die Abläufe zu bringen? Dafür ist der Pflock ziemlich früh am Tage eingeschlagen. Am Vormittag zwei wesentlich Dinge geschafft: Abstecher ins freitägliche Kaffee-Parlament und anschließend ins Büro. Recherche zur Bestrahlung ergab, dass die eigentliche Behandlungsdauer pro Tag bei etwa zehn Minuten liegt, abgesehen vom ersten Behandlungstag, wenn die Marschrute festgelegt wird. Mal sehen, was zuerst beschossen werden soll. Rübe oder Bauch.

03.08.2023 05:30

Noch eine neue Routine? Gleiche Uhrzeit wie gestern. In wenigen Minuten beginnt die Eierbratbrigade unten im Restaurant, Spiegeleier zu stapeln. Inzwischen wird mein umfänglicher Cocktail aus modernen wie traditionellen Heilmitteln zubereitet. Hatte ich mich vor Jahren im Früstücksparlament über einen Bekannten, der statt des üblichen Kaffees heißes Wasser zum Aufbrühen eines Gesundheitstees bestellte und dann eine schier endlose Reihe von Tabletten und Kapseln vor sich aufreihte, lustig gemacht, so werde ich jetzt selbst zum Pillenjunkie.

vor dem Fühstück
…vor dem Frühstück …

Mein chinesisches Fitness-Band behauptet dreist, ich hätte sechs Stunden und zwölf Minuten geschlafen, was als „mäßig“ bewertet wird.

Dann schier endloses Warten auf den Aufruf. Wir hatten gegen 09:00 im SMC eingecheck und die Startnummer 017 erhalten. Kurz vor 12:00, nachdem unsere Hoffnung auf Abfertigung vor der Mittagspause schon arg im Schwinden war, saßen wir in der kargen Konsultationskammer. Dr. R. (inzwischen am SMC schon Nr. 4) sprach ruhig, erklärte geduldig und meinte, mich noch schonend auf das Kommende vorbereiten zu müssen. Ich denke, ich bin – ähnlich wie im Fall Marcel vor nahezu 20 Jahren – gut präpariert. Das nahm ihm ganz offensichtlich eine Sorge. Als nächstes sprach er von einer Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie, die in Zyklen von jeweils mehreren Tagen umgesetzt werden muss. Er schlug von sich aus vor, dies näher an die Grenze ins Krebszentrum Udon zu verlegen, womit er ja offene Türen einrannte. Als wir dann kurz vor Vier im Krebszentrum ankamen, wollte man mich gleich dort behalten, um am kommenden Morgen den ersten Behandlungszyklus zu starten. Unsere Entgegnung, dass wir gern erst nach Laos zurückkehren würden, da noch wichtige Vorkehrungen treffen zu können, wurden mit etwas Unverständnis zur Kenntnis genommen, der Behandlungsbeginn dann letztlich auf den 10.08. festgelegt.

02.08.2023 05:30

Alls wird besser, alles wird besser … Früh am Morgen ist die Nacht zu Ende. Fünf nächtliche Ausflüge ins Bad sind noch nicht ganz das Erstrebenswerte, doch ist mir heute so, als arrangiere sich vieles und käme in eine Art neue Normalität. Sogar das Wasser im Haus scheint wieder in geordneten Bahnen, heißt Rohren, zu zirkulieren. Und auch die Experimente mit exotischen Cillies beginnen mich wieder zu interessieren.

Nun wieder Khon Kaen, hoffentlich für längere Zeit zum letzten Mal. San bewältigt die Strecke zwar jedes Mal souveräner, eine nicht eben geringe Belastung bleiben die dreieinhalb Stunden dennoch.Wenn wir auch daran gedacht hätten, die quietschentengelben Badelatschen ins Auto zu tun, hätte es ein fast perfekter Tag werden können. Dabei hatte es um die Mittagszeit ein paar kleine Verwerfungen gegeben. San wollte hinsichtlich der Startkapazität der Autobatterie nicht weiter auf ihr Glück vertrauen und ließ das gute Stück prüfen. Bis zur kompletten Quittierung des Dienstes war es nicht mehr lang. Also neue Batterie. Dabei warf sie einen Blick auf den Pappanhänger vom letzten Motorölwechsel, verglich die Zahl für den nächsten empfohlenen Boxenstopp mit der auf dem Kilometerzähler und erschrak: die Zahlen waren nahezu kongruent: 448 km Abweichung auf 100.000 km. Ehe ich beruhigend auf sie einwirken konnte, fuhr sie die Kutsche zum Ölwechsel. 100.000 km hat der der Hyunday Creta schon auf dem Zähler? Eine ganze Menge für ein Vientianer Stadtauto.

Gut, dass ich gleich nach dem Frühstück zu einem Anruf im Bayasita@KKU drängte, denn beim Einchecken durften wir live und in Farbe erleben, dass Unterschlupf  Suchende abgewiesen wurden. Voll! Ich hatte schon geshrieben, dass der moderne, unaufdringliche, gediegene Stil des Hauses mir von Anfang an zusagte. Eine Sache, neben den Stapeleiern, lässt mich grübeln: ist die Funktionsweise einer Wasserpumpe mit Druckkessel allen Klemptnern im Isaan in allen Formen beruflicher Bildug vorenthalten worden? Eigentlich kein Geheimnis, dass die Luft im Druckkessel für einen Druckausgleich sorgt. Fällt er, der Druck, unter einen eingestellten Grenzwert, springt die Pumpe an. Mit der Zeit nun verringert sich die Luftmenge im Kessel, da immer mal wieder etwas Luft mit in die Leitung gerissen wird. Folglich wird der Grenzwert früher erreicht und die Intervalle zwischen den Schaltzyklen werden kürzer, der Wasserdruck geht auf und ab wie eine Achterbahn bis schließlich die Pumpe in ein rasantes Stakkato verfällt und in kürzesten Abständen Wasser unter hohem Druck in die Leitung schießt. Duschende, die einen Durchlauferhitzer der preiswerteren Kategorien benutzen, können sich dann auch gesundheitsfördernder Wechselbäder erfreuen. Ein kurzes Öffnen der Ablassschraube um, wie der Name andeutet, von Zeit zu Zeit überschüssiges Wasser abzulassen, könnte das Problem lösen. Keine wissenshaftliche Studie, sondern Resultat solider polytechnischer Schulbildung.

01.08.2023 05:00 Khao phansa

„Khao Phansa ist ein buddhistischer Feiertag, der den Beginn der dreimonatigen Regenzeitklausur markiert. Er wird in Thailand, Laos, Kambodscha, Myanmar, Sri Lanka, Bhutan, Nepal und Teilen Chinas gefeiert. … Khao Phansa ist eine Zeit der Besinnung und des Friedens. Es ist eine Zeit, um die Lehren des Buddha zu studieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es ist auch eine Zeit, um die Gemeinschaft zu stärken und die Verbundenheit mit den anderen zu feiern.“ (BardAI) Noch vor wenigen Jahren enthielten sie sich in der sogenannten buddhistischen Fastenzeit viele Laien des Alkohols und Fleischspeisen. Heute ist vieles anders, moderner. Es wird durchgehend gesoffen.

Füße hoch! Seit ich statt schlankem Fuß diese Wassersäcke habe, soll das Abhilfe schaffen. Es hilft, zumal selbst das Internet und die nun überall hochgejubelte künstliche Intelligenz nicht viele Alternativen anbieten. Die Frage ist letztlich, wie hoch. Die angetragene Ansicht, über Kopfhöhe sein das Maß der Dinge, würde schwer vollziehbare gymnastische Übungen erfordern. Im AEK Udon legte man die Messlatte ein Stück niedriger: höher als das Herz. Das scheint physisch machbar, logisch nachvollziehbar und wirksam. Dennoch schließt es Sitzen im eigentlichen Sinn weitgehend aus.

29.07.2023 15:00

Wer rettet mich, wer zieht mich aus der Bredoullie, holt mich aus der Bedrängnis? Es geht um einen Überfall der Freundlichkeit, des Mitgefühls, der Mitmenschlichkeit. Alles völlig normal, sollte man meinen. Anlass war ein überraschender Besuch unserer Versicherungsvertreter im Krankenhaus. An sich eine sehr nette und in der jetzigen Zeit gar außergewöhnliche Geste, die als praktischen Teil das Einsammeln von Originalbelegen als Grundlage für Leistungsberechnungen einschloss. Für mich endete der fast schon Familienbesuch als Qual.

Frau P., inzwischen 72 Jahre alt, führt ihre Vertretung noch komplett wie vor der Erfindung des Internets, baut auf individuelle Kundenbindung, dabei hört kaum noch etwas. Wir kennen uns nun seit über 20 Jahren. Die Zahl der Besuche lässt sich nicht mehr zählen, wir waren auch im Haus von Frau P. in Nongkhai und im Café ihrer Tochter.

War ihr Besuch angesagt, begann ich nach Mitteln und Wegen, zu suchen, einer direkten Begegnung möglichst weiträumig aus dem Weg zu gehen. Ich verschanzte mich in meinem Home Office, zog mich nach unvermeidlicher Begrüßung dorthin zurück oder ich verschwand Richtung Badminton. Anfangs versuchte ich mir noch weiszumachen, dies sei einzig der schnellen, für mich kaum verständlichen Thai-Sprechart geschuldet. Heute weiß ich: ich flüchtete vor ihrer Herzlichkeit.

Mir ist auch nach vielen Jahren wenig verständlich, wie mein bester Freund B. es so lange mit mir aushalten konnte. Er, ein gefühlvoller Mann großer Herzlichkeit, der auch tiefgreifende kulturelle Unterschiede, ach was, Gräben, einfach mal mit einer herzlichen wie manchmal herben Umarmung zudrückt, hat meine Distanziertheit eigentlich stets kommentarlos akzeptiert. Kamen wir gemeinsam in einen Raum, zog er gute Bekannte unweigerlich an seine Brust, wo es bei mir, als Höchstes der Gefühle, einen formalen Händedruck gab.

Das ist alles bekannt, rational aufgearbeitet, analysiert und verstandesgemäß auf den Weg der positiven Veränderung gebracht.

Und nun kam Frau P., setzte sich an mein Bett und begann ihr Thai-Feuerwerk. Kein Entweichen möglich. Der theoretischen Erkenntnis und dem echten Vorsatz nach Änderung folgend, hörte ich zu, erfuhr vieles aus dem Leben von Frau P., ihrer Familie und dem mancher Krebspatienten.

Ich versuchte, mich auf die Frau einzulassen, endlich Personen über Sachthemen zu stellen. Nach etwa 15 Minuten begann ich mich physisch unwohl, ja geradezu bedroht zu fühlen. Ich sandte hilfesuchende Blicke zu San zu senden, die sich am etwa zwei Meter entfernten Tisch angregt unterhielten. Frau P.s Tochter, die gut wusste, dass ihre Mutter vor allem wegen der Schwerhörigkeit manchmal etwas anstrengend sein konnte, erfasste schließlich die Situation und weitete den Gesprächskreis auf alle Vier aus. Ich war gerettet, wenn auch mein Versuch, Empathie zu entwickeln, wieder einmal gescheitert war.

28.07.2023 06:30

HochwasserEs geht wieder los. Die Schreckensmeldungen der vergangenen Nacht: der Keller steht 25  Zentimeter tief unter Wasser, in der Küche sprudelt Wasser aus dem Eckventil unter dem Abwaschbecken. Vor dem Haus ist ein oberschenkelstarker Ast vom Baum gebrochen und blockiert die Einfahrt. Vier Erzieherinnen des VAC haben ohne Vorwarnung mitgeteilt, nicht zur Arbeit zu kommen. Und nun ist auch noch die 14kg-Kochgasflasche leer. Hexenspruch? Bannfluch? Da man hierzulande an so etwas glaubt, sei es zumindest erwähnt. Denn es stellt sich schnell heraus, dass beispielsweise das sprudelnde Eckventil schon seit längerem tropft und man zwar täglich mehrere Schüsseln Tropfwasser entsorgte, darüber hinaus aber „vergessen“ hatte, den Missstand mitzuteilen. Durch den Übergang zum Sprudeln macht nun das Ventil nachdrücklicher auf sich aufmerksam.
BruchAls wir uns gegen Mittag endlich auf den Weg nach machen, lassen wir nicht nur ein Durcheinander an angeblichen Klempnern zurück, sondern auch mein sorgsam vorbereitetes Rucksäckchen mit Computer und Büchern.
Im Krankenhaus angekommen, wird im Poliklinikbereich die erste Blutdruckmessung vorgenommen, die nicht nur mehrere Krankenschwestern in beschleunigte Bewegung versetzt, sondern mich sofort auf eine Pritsche nagelt und raschen Schrittes auf die Intensivstation überstellt. Der Blutdruck war tief im Keller.

Nach Stabilisierung und Anlauf der Laboruntersuchungen durfte ein junges Team mit Englischkenntnis noch meine Lunge röntgen, wobei nun auch Metastasen in diesem Organ entdeckt wurden.

Am Abend kamen dann Informationen über Haus und Hof. Die Klimaanlage im Schlafzimmer meinte, zum Chaos beitragen und hatte größere Mengen Kondenswasser auf den Fußboden umlagern zu müssen, was dem Laminat gar nicht gut bekommt. Die Pseudo-Klempner waren erwartungsgemäß an ihrer Aufgabe gescheitert.

27.07.2023 06:40

Wie funktioniert das Gehirn? Die Frage hatte ich schon am 23.07. ans Brett gepinnt ud komme nun, nach einigen Beobachtungen und Reflexionen, darauf zurück. Offenbar gibt es einen Selektionsmechanismus, der physische wie psychische Motivation mit, ebenfalls – physischer wie psychischer – Leistungsfähigkeit abgleicht. Jedenfalls ist seit Tagen die Werksatt, keine 25 Meter entfernt und Aufbewahrungsstätte von mindestens fünft kleineren Bau- und Bastelprojekten, komplett von der Zielliste verschwunden. Null Bock, mich auch nur in diese Richtung zu begeben. Ja nicht einmal der Erhalt der im Haus angezogenen Chilipflanzen, deren Samen es auf verschlungenen Pfaden von Spanien bis nach Laos geschafft hatte, weckt Interesse, obwohl hier auch Verantwortungsbewusstsein gegeüber dem Experiment erwartet werden könnte. Null Bock, niente.

26.07.2023 07:10

„Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden. Ein damit korrespondierender allgemeinsprachlicher Begriff ist Einfühlungsvermögen.“ (Wikipedia)

25.07.2023 07:30

Lange Zeit meine schlimmste Horrorvorstellung: gekochter Fisch zum Frühstück. Heutige, von meiner Diätwächterin verordnete, bittere tägliche Realität: gekochter Fisch zum Frühstück, angerichtet in einer geschmacklich herausfordenden Brühe aus verschiedenen, oft wechselnden Kräutern. Später wurde es noch richtig weihnachtlich. Das Telefon klingelte und es meldete sich – die Post. Es sei eine Sendug aus Deutschland für mich da. Mir fiel nur die Buchsendung ein, die meine Schwester vor kurzer Zeit auf den Weg gebracht hatte. Die Lieferung einer PIN der Deutschen Bank dauert nun schon drei Jahre und bleibt weiter ohne jeden Fortschritt. Will sagen, ich habe eine Kreditkarte und zahle Gebühre dafür, kann sie in Ermangelung einer PIN, die von der Bank bereitgestellt wird – oder korrekter bereitgestellt werden sollte, nicht nutzen. Bei meiner laotischen Bank kann ich selbst per App die PIN und andere Zugangsdaten gegen die Zahlung von je etwa 20 Cent beliegig oft wechseln.

Da nun Buchnachschub traditionell zur Jahresendfeier kommt, ist die Assoziation zum Fest der Freude naheliegend. Und ohne Schmus, schon der erste Blick unter den Einband bestätigt – es ist eine große Freude.

23.07.2023 10:30

Kaffee – das klingt so gewöhnlich. Jedoch ändert sich diese Wahrnehmung abrupt, wenn einem die Coffeindroge zwangsweise entzogen wurde. Jetzt also ein Kaffee.

Inzwischen geht mir etwas anderes durch den Kopf: wie arbeitet das Gehirn? Warum ist bei mir seit der Operation jegliches Interesse and Werkstatt und Garten (eigentlich Gärten) erloschen, wo doch die theoretische Einsicht, dass da rein nichts wird, wenn ich nicht selbst Hand anlege vorhanden und es auf der To-Do-List ganz dick vermerkt ist. Er sind drei Stufen bis hinab in den Hausgarten – schier unüberwindlich. Nicht physisch, da gibt es keine Probleme. Es ist einfach nicht der Wunsch da. Drei Dinge lassen sich im Moment ohne gefühlten Widerstand in Angriff nehmen: arbeiten am Computer, Lesen und Schreiben. Selbst der Wunsch, mein heißgeliebtes HayDay zu spielen, war für einige Tage komplett verschütt gegangen.

Auch drei Wochen nach Erwerb des neuen Mobiltelefons gelang es mir nicht, die Unzahl an Benachrichtigungen, Push News und Werbeanzeigen, die in dem Apparat voreingestellt war, ganz zu stoppen. Mehrere Browser, von denen ich weden Namen noch den ihrer Entwickler, jemals gehört habe, laden rund um Uhr herunter was das Zeug hält. Am penetrantesten sie die Meldungen in thailändischer Sprache, die da fortwährend von lautem Geräusch begleitet, in das Smartphone krachen. Da kann ich nachvollziehen, dass Leute, die sich den ganzen Quark reinziehen, 24/7 arg beschäftigt sind, auch nur auf dem Laufenden zu bleiben. Ich allerdings möchte schon ganz gern noch selbst bestimmen, was ich wann lese, sehe, höre. Ich werde alo weiter auf der Wacht liegen, um erste einmal herauszufinden, welche App noch Abrufsrechte für Neachrichtigungen gewährt und dann dem Spuk ein Ende bereiten.

22.07.2023 18:00

Ein Tag zwischen den Zeilen und Welten. Habe zwar zu etlichen der für heute gelisteten fünf größeren Themen ewas gemacht, bin aber nirgends richtig vorangekommen. Immerhin hat mich ein Kaffee um drei etwas moblisiert. Inzwischen läuft die Fussballweltmeisterschaft (müsste es nach Meinung der Sprachverwirrer dann nicht -weltmeisterInnenschaft heißen?) der Frauen in Australien und Neuseeland. Ich würde gern Spiele verfolgen, zumal die Anstosszeiten hierzulande sehr angenehm sind. Doch niemand überträgt, nicht einer der vielen spezialisierten Sportsender. Nicht einmal das Spiel der vietnamesischen Frauen (gegen USA 0:3) war in einem der hier angeboteten vietnamesischen Kanäle zu finden. Traurig! Naja, nicht meckern. Bei FIFA+ gibt es alle Spiele in Gratis-Live-Streams.

21.07.2023 08:00

Ich möchte schon gern wissen, was in diesen Computer (oder das Internet) gefahren ist. Jetzt ist auf einmal alles wieder da. Hat wohl noch geschlafen – oder wie arbeitet ein Cache? Katz und Maus? Hase und Igel?

Danke, WordPress! Alle gestern vorgenommenen Änderungen sind verschwunden. Und das waren beileibe nicht wenige. Mehrere Seiten fein gedrechselter Text – einfach weg. Das war auch in den zurückliegenden Tagen schon vorgekommen, doch mit weit weniger Geschreibsel. Als Schlussfolgerung hatte ich nach jeder noch so kleinen Änderung, selbst einem ergänzten Leerzeichen, die Aktualisierungsschaltfläche in Anspruch genommen und zur Kontrolle den Blog aufgerufen. Gestern abend nach getanen Tagewerk noch neue Links bei Facebook und Twitter platziert, was bedeuten kann, dass diejenigen, die es gleich gelesen haben, noch in den Genuss der Neuerungen kamen. Falls jemand noch Zugang zur gestrigen Version hat: es geht in erster Linie um den gesamten Abschnitt zum ASEAN-weiten Autismus-Netzwerk im Rückblick 4. Falls es jemand auftreiben kann, bitte kopieren und mir schicken. Nun jedenfaslls ist alles weg.

20.07.2023 07:00
SMC
SMC

„Finger!“ Fast schon bellt es der Mann in der Khaki-farbenen Kluft aus seinen Kabuff. Ich möge flugs vier Finger meiner linken Hand auf den Scanner tun. Zuvor hatte er das Kameraauge ziemlich wild in seinem Gehäuse umherkreisen lassen. Ein Blick auf die vielen Thai-Stempel in meinem Pass hätte ihm andeuten können, dass mir das Procedere nicht ganz unbekannt ist. Wir haben es heute mit einer anderen Besatzung zu tun, sie ist weit kantiger als die der letzten Tage, vom Äußeren wie vom Verbalen. Oder wollte der Thai-Beamte nur zart andeuten, dass er auch fremd spricht, vielleicht Autorität hervorkehren?

Ergebnis des gestrigen, sehr mobilen Tages: die Hängepartie ist endlich vorüber, das Urteil verkündet und der Weg frei für strukturierte Aktivitäten.

Aber Schritt für Schritt. San, die als Beifahrerin stets bei Tempo 100 verbal den Bremsfallschirm auslöst, fegt mit 130 über die Piste nach Khon Kaen. So stellen wir noch mit einem guten Zeitpuffer das Auto im Parkhaus nicht weit vom SMC ab.

Das Urteil: Kein holzgetäfelter Saal, sondern eher ein spartanisches Konsultationskämmerchen. Kein wallendes Haupthaar und keine wehende Robe, sondern kurz geschorenes Haar, dunkelgrünes Golf Shirt und einfache schwarze Hose. Einzig die randlose Brille mit goldfarbenen Bügeln und ebensolcher Brücke weisen auf akademische Zusammenhänge hin. Der Richter scheint nervöser als der links neben ihm sitzende Delinquent, als er vom Bildschirm abliest: Pancreatic Cancer. Das wars dann auch schon. Alles weitere, sagt er, liege nun in der Hand der Therapieexperten.

Endlich ist diese sich drei Wochen ziehende, nervenzehrende Ungewissheit vorbei.  Es wird hoffentlich wieder etwas mehr Normalität und Planbarkeit in mein Leben zurückkehren. Das macht mir keine Sorge und da werde ich als einer der jährlich weltweit rund halben Million neu diagnostizierten Fälle ein Ernährungs-, ein Fitness- und ein Therapieprogramm aufstellen und dann – die weit größere Herausforderung – auch konsequent umzusetzen versuchen. Dann kommen sicher auch Werkstatt und Garten wieder in praktische Reichweite. Mit der Arbeit gibt es da weniger Probleme, die habe ich ja auch bisher fast schon rund um die Uhr erledigt.

Mehr Sorge macht mir der Zustand der modernen Gesellschaft, wenn schon im ersten recherchierten Ratgeber zum Thema Bauchspeichedrüsenkrebs und Arbeitsfähigkeit zu lesen ist: „Dann kann es besser sein, die Krebserkrankung oder zumindest Einzelheiten zu verschweigen.“ (https://www.krebsinformationsdienst.de/leben/alltag/arbeiten-mit-krebs.php)

Wer in der neoliberalen Umwelt Schwäche zeigt, wird gnadenlos aussortiert. Egal, ob er mit Schwerbehinderausweis daherkommt oder ohne. Wie lautete der inzwischen langbärtige Witz über die Rentner Europas? Der englische Rentner nimmt Kneifer und Melone und geht in den Club, der französische Hut und Stock und geht ins Bordell, der deutsche nimmt seine Herzpillen und geht zur Arbeit. Schindern bis zum Umfallen.

19.07.2023 07:00

Ich mag der Auffassung, dass etwas schlecht, oder schlimmer schmecken MUSS, um gesund zu sein, nicht viel abgewinnen. Es sieht aus wie ein Obst- Smoothie, ist letztlich wohl auch einer, doch hat man ihm noch die Blätter irgendwelcher exotischer Wald- und Wiesenkräuter zugesetzt, die das Endprodukt fad, bitter oder erdig schmecken und so die optisch erzeugte Erwartung im aromatischen Desaster enden lassen. Das ist hart an der Grenze zum kulinarischen Terrorismus, zum lukullischen Overkill, zum gustiösen Kernschlag.

17.07.2023 08:35

Darf man eigentlich sagen, wenn es einem nicht gut geht? Wenn die Füße in Größe und Form aussehen wie Vorlegeklötze in der LKW-Werkstatt? Wenn man seinen linken Oberschenkel ebenso spürt wie einen verdorrten, abgebrochenen Ast im Thüringer Wald? Wenn sich die sprichwörtlich auf Erbsengröße geschrumpften Eier gegen das Original ausnehmen wie Fesselballons? Wenn 20 Treppenstufen so herausfordernd erscheinen wie ein Aufstieg zum Tschomolungma? Oder muss man, den vorgegebenen Ritualen der Konventionen folgend, eine der nichtssagenden leeren Floskeln verwenden? „Danke der Nachfrage.“, „Den Umständen entsprechend.“, „Wird schon wieder.“, „Noch besser, und es ist nicht mehr auszuhalten“.

Sicher, die Floskel wehrt meist weitere Nachfragen ab, während die Auskunft zu weiterem Gespräch auffordert. Soll man sich verstohlen umblicken ob jemand bemerkt hat, dass trotz unnatürlich weit aufgerissenem Mund nicht alles, was auf dem Löffel lag, den richtigen Weg findet? Konventionen sind eine schöne Sache. Da lassen sich Dinge verbergen, die sonst zu Mitgefühl, von mir aus auch im Gegenspektrum Schadenfreude oder Spott, auf jeden Fall aber zu einer Reaktion herausfordern. Mit der Floskel ist der Dialog beendet.

15.07.2023 20:30

Die Welt scheint mir mit aller Macht den Weg zum Ausgang weisen zu wollen, denn die Kettenreaktion der Misshelligkeiten geht ungebremst weiter. Vielleicht ist es auch gar keine schlecchte Lösuung, sich aus dem Staub zu machen, bevor diese Welt von verantwortungslosen Politikern in eine atomare Katastrophe oder vom wachstumsfixierten und konsumgetriebenen Killer-Klima in den Abgrund gefahren wird. Gerade zieht wieder ein heftiger Sturm über Vientiane. Vor 25 Jahren passierte das einmal alle zwei-drei Jahre, inzwischen gehört es zum Standard.

Gestern brach das Silokonarmband ders MI 7PRO Health Trackers nach gerade sechs Monaten zuverlässigen Dienstes ohne Vorankündigung, nachdem das Teil ein paar Tage zuvor schon ohne ersichtlichen Grund die Spracheinstellung von Englisch zu Chinesisch geändert hatte und sich nicht bewegen lässt, wieder Englisch mit der Umwelt zu kommunizieren. Der Versuch, das Armband – nicht deutlich anders als meine Birne – zu klammern, schien zunächst von Erfolg gekrönt. Doch am Abend bröckelten plötztlich schwarze Krümel auf den Boden und eine zweite Bruchstelle tat sich auf. Über Nacht fixierte ich das gute Stück mit Malerband um Arm, damit es die für San so bedeutsamen Schlafüberwachungsdaten aufzeichnen konnte. Am heutigen Morgen besuchten wir die einschlägigen Verkaufseinrichtungen, um beschieden zu werden, dass Ersatz nicht vorrätig sei und auf eine Bestellung eine Lieferung in rund zwei Wochen folgen könnte. Der Händler, bei dem das Teil gekauft worden war, wies nicht nur auf ein leeres Regal sondern noch auf einen Live-Chat hin, auf dem es auch nach 24 Stunden keine Antwort gab. Der MG kam in die Werkstatt, von wo aus drei Anrufe folgten, in denen über neu gefundene Mängel berichtet und entsprechend Auflassung zur Reparatur gebeten wurde. Wieder zu Hause, teilte Google lakonisch mit, dass mein Cloud Speicher voll sei, weshalb keine neuen Emails mehr geladen werden könnten. Kurze Zeit später kam eine fast identische Auskunft von Web.de. Wer mag da noch an Zufälle glauben? Nicht einmal die Haare wollen bei mir bleiben, verlassen sie doch büschelweise meinen Kopf.

So saß ich den ganze Tag und löschte Dateien aus den beiden Speichern, um wieder etwas Luft zu schaffen.

14.07.2023 20:00

Der Kurzausflug ins Cancer Center Udon Thani endete letztlich auch ohne belastbares Ergebnis. Dennoch angenehm. Ankunft zur Mittagszeit, kühle Stimmung in Cyan und im Gegensatz zum völlig überlaufenen Srinagarind beinahe menschenleer, gab es fundierte Information: Ja, man sein bereit und auch entsprechend ausgestattet, die Therpie, mögliche Bestrahlung und/oder Chemo zu übernehmen, doch habe man keine Fachexperten für Hirn- oder Bauspeicheldrüsenkrebs. Für Gewebeprobenntnahmen bei letzterem verfüge man auch nicht über die erforderlichen Gerätschaften. Die Empfehlung: die ausstehenden Untersuchungen bzw. Eingriffe wie vereinbart in Khon Kaen durchführen, dann dort alle Unterlagen und Ergebniss abfragen und danach wiedervorsprechen. Naja, wenigstens was.

Einmal in Udon, blieb nur ein wenig Shopping. Es ist schon ein wenig ungewohnt, wenn man nicht mehr einfach etwas in den Einkaufswagen legen kann in der Gewissheit, Geld gespart zu haben, sondern eiegntlich bei jeder Position nachrechnen muss, oft mit dem überraschenden Ergebnis, dass dieses Produkt in Laos preiswerter verkauft wird. Kommen die bei den rasanten Änderungen des Baht-Kurses mit dem Umrechnen und neu Ausreisen nicht nach? Selbst der Zöllner an der Lao-Grenzstation konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: „Ihr transportiert auch nur Luft!“

Rück-Rückblende 2
Quietschentengelb Latschen
Quietschentengelbe Latschen

„Michael verfügt über ein stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl“. So stand es zum Abschluss des ersten Schuljahres in meiner Beurteilung und so ist es bis heute geblieben. Geschrieben hatte den Satz Frau Thiele, eine Frau von fast schon Furcht einflößender Statur, doch eine herzensgute Frau und fantastische Pädagogin. Sie hatte zwar nicht direkt gesagt, dass dieser Gerechtigkeitsfimmel mir zeitlebens Scherereien machen würde, aber so war es. Hinzu kommt ein fast schon idiotisch-naiver Hang zur Wahrheit. Das kann Verduss bringen und im konkreten Fall auch finazielle Einbußen nach sich ziehen. Wie etwa in der Diskussion um die Vergabe von Leistungsstipendium beim Studium in Moskau, das 50% der Studenten erhalten konnten über dessen Vergabe von den Studenten in Eigenverantwortung entschieden wurde. Vorausschicken möchte ich, dass ich immer um ein kooperatives Verhältnis zu Lehrern bemüht war, ausgehend von der Bewertung der Interessen der am Unterricht beteiligten. Was ist das Ziel des Lehrers? Doch wohl vor allem, seinen Schülern etwas beizubringen, und weit weniger – von Ausnahmesituationen abgesehen – Schüler vor der Klasse bloßzustellen. Jeder Sitzenbleiber ist keine Genugtuung für den Lehrer, sondern Eingeständnis eines Mißerfolgs.

Eine Situation möchte ich schildern, die sowohl Ausnahme als auch Regel illustriert. Ich stand auf dem Fahrrad sitzend, vor dem Neubaublock eines Mitschülers, der aus dem Fenster der dritten Etage mit mir sprach, als ein Lehrer, Haase mit Namen, in raschem Tempo und genau getakteten Bewegungen um mich herum in den Hausflur steuerte und ohne Verzug sein Gefährt in den Keller trug. Als er die Treppe hinaufkam, bellte er mich an: „Grüßen kannst Du wohl auch nicht.“ Ich war komplett perplex, denn für einen Gruß hatte es bislang ganz simpel gar keine Gelegenheit gegeben. „Entschuldigung, Herr Haase“, entgegnete ich. „Ich habe sie nicht kommen sehen.“ Und dann konnte ich mich nicht bremsen, einen zwar logisch korrekten, in der Situation aber völlig unangebrachten Satz anzufügen: „Ich habe hinten keine Augen.“

Rrrummms. Ich dachte, der Haase explodiert. Ein Schimpfkanonade brach über mich herein. Von Unverschämtheit war die Rede und von einem Nachspiel. Mir war augenblicklich klar, der Mann wollte mir Böses. Ebenfalls klar war mir die Art und Weise, wie er seine gekränkte Ehre wiederherstellen wollte. Schließlich standen wir in der 10. Klasse kurz vor den Abschlussprüfungen. In dem allerweltsbewegenden Fach „Einführug in die Sozialistische Produktion“, das Lehrer Haase in zweiwöchentlichen Intervallen unterrichtete, hatte er am letzten Unterrichtstag noch eine Klassenarbeit schreiben lassen, von der sicher war, dass wir Schüler das Ergebnis aus Mangel an Gelegenheit nicht mehr zu Gesicht bekommen würden. Mir schwante Böses.

Wenige Tage später hielt mich unsere Klassenleiterin Frau K. in der Pause zurück, um mitzuteilen, dass ESP-Lehrer Haase mich für eine mündliche Prüfung angemeldet habe, da ich die letzte Klassenarbeit völlig verhauen hätte.

„Der will mich abschießen“, reagierte ich spontan und erzählte Frau K. die ganze Geschichte. Auch an die verpfuschte Arbeit konnte ich schwer glauben, hatte ich doch das aufgeschlagene Lehrbuch zur Unterstützung herangezogen. Da ausreichend andere Fachlehrer den Wunsch nach Konversation mit mir in einem Prüfungsrahmen bekundet hatten und offenbar auf der pädagogischen Skala weiter ober standen, konnnte sie das Ansinnen von Lehrer Haase ablehnen und die Schache war vom Tisch.

Auf der Habenseite liste ich dagegen meine logisch-analytischen Fähigkeiten, wobei die logische Ader auch schon hart an der Grenze zur Manie kratzt. Es kann mich zur Weißglut treiben, wenn andere nicht willens oder fähig sind, einfachen logischen Schritten zu folgen.

Zurück zum Leistungsstipendium. Es war – wie eigentlich immer, wenn es um Geld geht – eine recht hitzige Diskussion, in der u.a. als Kriterium für die Vergabe herengezogen wen man noch nach Mitternacht mit Büchern und Aufzeichnungen durch das Wohnheim ziehen sah. Ich war da nie dabei, und als ich gar angab, Hausaufgaben und Seminarvorbereitungen möglichst vor 21:00 erledigt haben zu wollen, weil dann der Spielfilm im Fernsehen begann, war die Messe so gut wie gesungen. Viele der Kommilitonen hatten sich zum Ziel gesetzt, alle Themen des jeweils kommenden Seminars komplett mit geradezu perfekten Vorträgen bedienen zu können und geisterten deshalb eben auch noch nach Mitternacht durch die langen Wohnheimgänge, meist um neuen Kaffeenachschub aufzubrühen oder nächtlichen Hunger zu stillen. Ich blieb beim pragmatisch-koopertiven Ansatz, bereitete mich auf jeweil ein Thema gründlich vor und suchte nach Kernaussagen für die restlichen, um in der Lage zu sein, bei möglichem unerwarteten Aufruf eine nicht allzu blöde Antwort zu geben. Zum vorbereiteten Thema würde ich mich dann selbst melden und so dem Dozenten signalisieren, dass ich vorbereireitet war und so helfen konnte, das Seminar voranzubringen. Ach, was wurde ich dafür gescholten. Das grenze ja schon an Betrug. Die schlichte Entgegenung, dass meine halbjährlichen Prüfungsergebnisse andere Auskunft gäben, blieben wirkungslos. Im Endergebnis kam heraus, dass ich der Beste war – von denen die kein Leistungsstip bekamen. Anführer der unterern Hälfte. Das Studium habe ich übrigens „mit Auszeichnung“ abgeschlossen, auch ohne den Finanzbonus.

12.07.2023 21:05

Ein insgesamt erlebnisreicher Tag macht sich fertig zur Nachtruhe und gab zuvor noch ein besonderes Schauspiel. Bei Ankunft am thailändischen Grenzposten Nongkhai präsentierte sich der in Trauer. Zu Neudeutsch: Blackout, Strom weg, zappenduster. Was nutzen all die schönen technischen Spielzeuge – Fingerabdruckscanner, Digitalkameras, Computer mit raffinierter Gesichtserkennungssoftware – wenn ihnen der Saft fehlt und der Grenzbeamte wie vor 15 Jahren wild Stempel in ihm unkontrolliert vor die Nase gehaltene Pässe haut. Dabei sitzt er – inzwischen schwitzend, weil die Klimaanlage ja auch stehen blieb – in einer von einem Taschenlämpchen bzw. dem Bildschirm seines Mobiltelefons mühsam illuminierten Dunkelkammer. Schuld war natürlich das Gewitter, das eben durchzog. Dass der wichtigste Grenzübergang Thailands zu seinem kleinen Nachbarn Laos nicht über eine funktionierende Notstromversorgung verfügt, zeugt entweder von einem unerschütterlichen Glauben an die eigene Überlegenheit oder eine komplette Ignoranz gegenüber Laos. Oder eine Mischung aus Beidem. Der laotische Grenzposten war übgrigens taghell beleuchtet, dafür waren Teile der Stadt in tiefes Dunkel gehüllt.

Die Fahrt nach Khon Kaen endete letztlich im totalen Desaster. Nichts, von dem was ursprünglich besprochen war, wurde umgesetzt. Am Montag teilte Dr. Amnat mit, dass die 14 Tage für die Analyse noch nicht um seien und vertröstete auf Mittwoch. Dann riss er die Klammern aus dem Kopf. Am Mittwoch sollte ein  Dr. Vasinh die CT-Resultate interpretieren. Stattdessen sprachen wir mit Dr. Orady, der einen neuen Termin für den 02. August vorschlug. Bis dahin sollten die Ergbnisse der Gewebeuntersuchung des Hirntumors vorliegen und es sollte erst dann eine Gewebenprobe aus der Bauspreicheldrüse zu Vergleichszwecken entnommen werden. Die zu klärende Frage: was ist Ursache, was Wirkung? Ein Hirntumor mit Metastasen in Bauchspeicheldrüse und anderswo, oder Bauspeicheldrüsenkrebs mit Metastasen im Hirn. Die Behandlungsstrategie sollte dann auf dieser Erkenntnis aufbauen. Letztlich haben wir 3 Tage ohne greifbares Resultat vergurkt und waren entsprechend sauer. Eine Entscheidung haben wir auch gefällt, die eine Zufallsbekanntschaft an der Grenze bestärkte, als San aufschnappte, wie sich zwei junge Männer über Krebsbehandlung am Krebszentrum Udon Thani unterhielten. Sonst eher zurückhaltend im Gespräch mit fremden Menschen, quetschte sie die beiden regelrecht aus.  Fazit: wir sollten den Schritt machen, und da ich eine fürchterliche Nacht durchlebte, passiert das nun gleich morgen.

Rückblick 5

DSM-4, DSM-5, CHAT, M-CHAT, ABA, IEP, PECS – jede Recherche bereicherte nicht nur mein Abkürzungsverzeichnis, sondern brachte neue Kenntnisse und Erkenntnisse aus der weiten, sehr weiten Welt des Autismus. Nicht alles gelang geradlinig, oft waren die Pfade verschlungen, auch Kreisverkehre und Sackgassen kamen vor. Alles in allem eignete ich mir ein solides Grundwissen zum Thema und zum Umgang damit an. Die Anwendung unter laotischen Bedingungen dagegen gestaltete sich eher schwierig. Meine pädagogischen Fähigkeiten würde ich als komplett unzureichend beschreiben. Mir fehlt dazu einfach die Geduld. Das war schon mit meiner sieben Jahre jüngeren Schwester so, als sie mir bei der mütterseits angeordneten Unterstützung bei den Hausaufgaben auf die nun nicht sehr komplexe Aufgabenstellung: „Wie viel ist zwei mal zwei“ im Brustton der Überzeugung antwortete: „Fünf!“. Auf die Rückfrage: „Überlege noch einmal genau“, schaute sie mich, nun schon provokant, von unten her an und startete einen Versuch: „Dann vielleicht – drei.“ Die Ohrfeige nahm sie schweigend hin, erst als der Vater eine Stunde später zur Tür hereinkam, heulte sie los wie eine Sirene: „Der Große hat mich gehauen!“

Die gesamte Schulzeit über bescheinigten mir Lehrer Jahr für Jahr eine rasche Auffassungsgabe, die ich dann leider auch bei anderen voraussetzte und bis heute wenig Verständnis dafür aufbringe, wenn sie länger brauchen als ich.

Im neuen Autismuszentrum besorgten zunächst Khu Mone und Khu Ae das Heranführen unserer laotischen Lehrkräfte an die gewiss nicht leichten Aufgaben der Sonderschulpädagogik. In Laos war an eine organisierte Ausbildung in diese Richtung noch längst nicht zu denken und die Lehrkräfte am VAC waren, kurz gesagt, ein wild zusammengewürfelter Haufen von Leuten mit Interesse, rekrutiert nach Kriterien, die heute wenig nachvollziehbar sind. Es waren Allgemeinbildungslehrer dabei, Englischlehrer, die kaum ein Wort englisch sprachen, Kindergartenerzieher, aber auch Buchhalter, Finanzfachleute und Leute ganz ohne Abschluss. Andererseits die gut ausgebildeten Sonderschulerzieher aud Thailand und gar ein gut qualifizierte Physiotherapeutin. Keine dieser zwielichtigen Masseurinnen, eine richtige Physiotherapeutin.

Rettung kam in Gestalt von Frau K., einer Heilpädagogin aus der Schweiz, die ihren für eine lokale Firma tätigen Mann nach Laos begleitete. Es brauchte zwar Zeit und Mühe, die Schweizer Botschaft in Bangkok, die den Einsatz von Frau K. mit einem Kleinprojekt zu unterstützen bereit war aber bevorzugte, Bau- oder Ausrüstung, auf denen man schöne Aufkleber anbringen und sie öffentlichkeitswirksam übergeben kann, zu überzeugen, dass auch oder gerade Trainingsleistungen aus solcher Unerstützung finanziert werden sollten. Letztlich ging es und Frau K. etablierte ein sehr ordentliches System der Einführung in die Sonderschul- oder, wie man in der Schweiz sagt, Heilpädagogik. Fast schon wie ein Schweizer Messer.

Hatte Frau K.sich um die grundlegende Orientierung der Lehrkräfte verdient gemacht, so war es eine international sehr breit aufgestellte Gruppe von hochspezialisierten Fachkfäften, die das VAC als Freiwillige bzw. im Rahmen verschiedener Entwicklungsprojekte unterstützten, nicht selten über die Aufnahmefähigkeit der VAC-Lehrkräfte hinaus.

Nun haben wir darüber gelernt und gelesen, dass Anfälle bei Personen mit Autismus Ausdruck davon sind, dass sie irgendein Problem haben, dies aber nicht auf die bei anderen Menschen übliche Art und Weise kommunizieren können. Die Anfälle selbst können ebenfalls ziemlich unterschiedlich ausfallen, bis hin zu schweren Gewatausbrüchen gegen andere oder sich selbst. Was macht eine Erzieherin, die eben äußerst schmerzhaft bis aufs Blut in den Arm gebissen wurde? Ganz sicher keine Psycho-Tiefenanalyse mit Ursachenforschung. Dutzende Deeskalationstrainings, selbst personenbezogene, können nicht über den ersten Schock hinweghelfen. Das Überraschungsmoment ist auf seiten des Angreifers, denn die Ausbrüche erfolgen in der Regel blitzschnell und meist ohne Vorankündigung. Dabei zeigen viele der Kinder übereinstimmende Verhaltensmuster, deren letzte Konsequenz ungebremstes Beißen ist. Das lässt sich noch halbwegs kontrollieren, so lange die Kinder noch körperlich unterlegen sind und die ersten Anzeichen des sich entwickelnden Ausbruchs rechtzeitig wahrgenommen werden. Das haben wir bei Marcel mehrmals nicht geschafft. Zwei gravierende Fälle gab es 2017 und 2020. Beim ersten hatten wir die Warnzeichen ignoriert, der zweite war von mir provoziert.

Fall 1: Es ging etwas hektisch zu bei uns. Die Maid war vom Lande rekrutiert, jung, unternehmungslustig und offenbar vom losen Stadtleben über Gebühr beeindruckt. Marcel wiederum war von ihr beeindruckt und zeigte starkes Interesse. Meine Frau hatte Marcel eigentlich versprochen, mit ih nach Udon Thani zu fahren. Nun aber hatte sich die Maid schlicht hinausgeworfen. Ich sollte sie zu, gemeinsam mit Marcel, zum Busbahnhof bringen, während sie nach Thailand fuhr. Bei Autisten ist dass so eine Sache mit gebrochenen Versprechen. Sie stecken das nicht so einfach weg. Hinzu kam, dass Marcel erst auf dem Busbahnhof klar wurde, dass auch seine kleine Liebschaft ein jähes Ende fand. Schon vor dem bombastischen Verkehrknoten wurde mir klar: der Junge war heftigst verstimmt. Zu Hause angekommen, war auch S. nicht mehr weit. Kaum hatte sie das Haus betreten, bewegte cih Marcel mit angriffslustig erhobenen Händen auf sie zu. Erster Angriff auf die ausgestreckten Finger. Zwar sagt das Deeskalationstraining, um Gottes Willen keine Faust zu ballen, weil dies als extrem aggressiver Akt wahrgenommen wird. Man soll die Handfläche offen und in friedlicher Geste darbieten. Wie soll dass gehen, wenn der Zwei-Zentner-Mann schon seine Finger mit Deinen verzahnt hat und mit aller Kraft versucht, Deine Finger über die Bruchkante hinaus nach hinten zu biegen.

Da bist Du froh, wenn Du mit allen Kniffs und Tricks Deine gebeutelte Extremität wieder frei bekommst. Hast Du es schließlich unter großen Anstrengungen geschafft, kommt unvermittelt der zweite Angriff, dieses Mal auf die Haare. Nein, nicht ein wenig an den Zotteln zupfen, wie es die Jungen der 4. oder 5. Klasse gern neckend tun. Sondern ein voller Griff bis auf die Kopfhaut, wo sich die Finger gleich Greifzähnen eines Baggers unter schmerzhafter Mitnahme ganzer Haarbüschel zusammenfinden. Bist Du dem irgendwie entronnen und hast es auch nicht geschafft, die Aggressionspirale zu stoppen, kommt der finale Coup: Beißen. Mit weit aufgerissenem Mund, ein Vergleich in die Tierwelt, etwa die der  Menschenaffen, lässt sich nicht verhindern, bohrt er seine kräftige. Zähne in das erstbeste Stück „feindliches“ Gewebe. In diesem Fall handelte es sich um S.s Nase. In diesem Fall gab die Nase nach und trennte sich von einem daumennagelgroßen Stück. Aber Marcel, offenbar vom Blutfluss geschockt, ließ von seinem Opfer ab. S. wickelte ihr Nasenteil in ein Stück Serviette und raste zum Alliance-Krankenhaus, wo ein taiwanesischer Chirurg es kunstvoll wieder anstückelte. So fachgerecht, dass schon kurze Zeit später nichts mehr zu sehen war.

Es dauerte zwei Jahre, bis ich eine vergleichbare Erfahrung machen durfte. Marcel war sehr versiert im Umgang mit Youtube-Videos. Doch hörte er sie nicht im Ganzen, was bei Dauerwiederholungen des immer gleichen Titels schon eine gwissese Geduld erfordert. Nein, Marcel selektierte nach nur ihm bekannten Prinzipien eine kurze Tonsequenz und wiederholte diese kakophonische Übung dann ganztägig. Da kommt Freude auf! Um dem Tonterror zu entkommen, kam ich auf den wohl blödesten Einfall überhaupt. Ich klatschte laut in die Hände.

Noch in diesem Augenblick wurde mir klar, was ich angerichtet hatte. Marcel zuckte zusammen. Ich ging zu ihm mit der Absicht zu deskalieren. Aber es war schon zu spät. Marcels Finger krallten sich schon in meine Haare. Der Beißangriff richtete sich gegen meine Schulter, mit solcher Heftigkeit, dass ich fürchtete, die Schulter gäbe unter Freigabe eines größeren Stückes nach. Mir wurde buchstäblich schwarz vor Augen. Etwa vier Wochen lang durchlebte die Schulter unterschiedlichste Farbkombinationen und -schattierungen, blieb dabei stets äußerst sensibel, bei Berührungen.

11.07.23 15:20

Stapeleier

Blogge Bilder, sagt eine verbreitete Weisheit. Die Influenzer-Generation lebt von und mit Kurzzeitreizen wie Bild, Story, Reel. Nein, nicht die BILD, die aber schon länger nach dem Motto arbeitet, noch dazu thematisch reduziert auf TÄG (Titten, Ärsche, Gewalt). Nun also auch hier der Versuch zu mehr Illustration. Mal sehen, wie das ankommt.

10.07.2023 15:40

Die Urteilsverkündung ist vertagt. Wichtige Beweismittel, in diesem Fall der Untersuchungsbefund, konnten nicht rechtzeitig zur Urteilsbegründung vorgelegt werden. Dafür hat Dr. Amnat mit einer Zange, die schon äußerlich sehr große Ähnlichkeit mit einem handelsüblichen Stapler Remover aufwies, und der Feinfühligkeit eines Pferdedoktors die mehr als 30 Metallklammern aus meiner Schädeldecke gerissen. Dafür könnte ich nun wieder durch die inzwischen fast allgegenwärtigen Sicherheitsscanner gehen, ohne einen Großalarm auszulösen. Der Konjunktiv sein beachtet, denn zum Thema Sicherheitsscan auf Flughäfen war der Doktor eher vorsichtig-optimistisch, ob sich angedachte Bestrahlungstermine so arrangieren lassen, dass eine Teilnahme an der im September anstehenden Studienreise nach Deutschland möglich sein wird. Sein Interesse gilt ausschließlich meiner Birne, für andere Organbereiche sind andere Fachleute zuständig. Doch versucht er zu arrangieren, dass diese in den Sonderteil des Krankenhauses kommen, um uns endlose Warterei in den normalen Abteilungen zu ersparen.

Seit heute nenne ich ein paar personengebundener Badelatschen, quietschentengelb noch dazu, mein eigen. Da sich das morgendliche Zähneputzen nach dem Frühstück nicht ohne Betreten des Bades bewerkstelligen ließ, der Boden des Bades vom vorherigen Duschen kräftig nass und keine Latschen im Angebot waren, verwandelte sich das Bad, trotz all der Bemühungen des Reinigungspersonals, die gesamte Anlagen nahezu klinisch rein zu halten, in eine mittlere Schlammstrecke. Sehr unansehlich. Nun als mit Latschen als Abhilfe. Übrigens traf ich auf meinen inzwischen gewohnheitsmäßigen nächtlichen Wanderungen zwischen Bett und Bad, ich glaube es war auf dem 24:00-Uhr-Ausflug, auch hier auf eine anstaltseigene Kakerlake, die, an zu dieser Zeit ungestörte Erkundungsgänge gewohnt, dem Schlag mit dem Latsch nicht entgehen konnte. Es war noch nicht der quietschendengelbe.

09.07.2023 20:40

Wir sind wieder in Khon Kaen und wie vor einer Woche im Uni-Hotel „Bayasita@KKU“ untergekommen. Und doch ist alles ganz anders. Nicht nur, weil San inzwischen ziemlich routiniert die knapp 200 Kilometer Autobahn runterreißt. Selbst Rechenspiele lassen sich anstellen. Das Hotel kostet pro Nacht nahezu exakt den Preis, den wir bei Einweisung ins Krankenhaus über die Versicherungsleistung hinaus hätten zuzahlen müssen, bei weitaus angenehmerem Ambiente. Noch dazu bei einem für ein Uni-Hotel eigentlich wünschenswerten unnd hier auch praktisch verfügbarem frei zugänglich und superschnelle WiFi-Anschluss. Das erinnert mich an die Aussagen im Krankenhaus letzte Woche, wo uns Bescheid wurde, dass alle Thais sich mit ihrer Personalausweisnummer in das landesweite Netz der Regierug einloggen könnten. Pech für uns: das System akzeptiert eben nur Thai-Ausweise.

Nur das Restaurant, den Aushängen zufolge mehrfach preisgekrönt, ist nicht so mein Ding. Spartanisch-modern aus Beton und Glas verfügt es über den akustischen Charme einer Maschinenhalle im frühen Manchester. Letzte Woche waren wir am Abend schon fluchtartig an einen Tisch im Außengelände gewechselt, weil ein größere Gruppe von sich anregend unterhaltenden Menschen eine solche Kakophonie von Hall und Widerhall ergzeugte, dass mir der noch nicht operierte Kopf schwirrte. Und morgen früh werden wir mit großer Sicherheit den Außendienst-Eierbrater beim Stapeln erleben dürfen.

Das aber sind alles Äußerlichkeiten. Ich komme mir vor, als sei ich zur Urteilsverkündung angereist.

08.07.2023 06:00

Was nutzt der beste Passwortmanager, wenn das anvisierte Programm der Meinung ist, es  müsse eine Email mit Verifizierungscode schicken und dies dann nicht tut? Oder an eine Email-Adresse, die seit Ewigkeiten nicht mehr genutzt wird und deren Zugangsdaten längst dem Vergessen anheim fielen? Noch immer kämpfe ich gewaltig damit, zwei mir wichtig erscheinende Anwendungen auf dem neu erworbenen Mobiltelefon (das denglische Handy will mir einfach nicht den Sprachgebrauch kommen, weder mündlich noch schriftlich) zum laufen zu bekommen. Alle anderen sind soweit verlustfrei oder zumindest funktionsfähig auf dem neuen Gerät gelandet. Da bekommt man nebenbei auch mit, welche Fortschritte die Assistenzprogramme in den vergangenen fünf Jahren gemacht haben. Man mag es kaum glauben, aber mein SAMSUNG hatte nun schon fünf Jahre auf dem Buckel und tat seinen Dienst so ausdauernd wie unaufdringlich. Aber vier Tage als Dauerhotspot waren dann wohl zu viel des Guten.

06.07.2023 20:15

Tipp auf den Touchscreen auf die Aufschrift „Auszahlungen, Überweisungen“. Der Slot, aus dem normalerweise die Wartenummern auf Thermopapier ausgedruckt werden, leuchtet die üblichen dreimal grellgrün auf, dann passiert – nichts. Kein Zettel mit Nummer fällt heraus, kein Mitarbeiter weit und breit, der hilfreich eingreift. Umstehende Kunden klären schließlich auf: die Wartenummer, die auf dem Schirm angezeigt wird, per Hand auf einen der bereitliegenden kleinen, eigens für diesen Zweck vorbereiteten Papierzettel schreiben und im Warteraum wie üblich Platz nehmen. Diese Erfahrung belegt, dass das Problem nicht ganz neu zu sein scheint. „Modern, Quick, Reliable“ prangt der Werbeslogan der BCEL auf allen Vordrucken. Zweifel daran sind nicht vorgesehen. Immerhin, das altväterliche System erfüllt seinen Zweck, solange jeder wirklich die richtige Nummer aufschreibt und sich artig einreiht. Zumindest die Kunden scheinen da zuverlässig .

05.07.2023 17:00

Was ist Bewusstsein? Als unerschütterlicher Materialist meine ich, dass es real vorhanden ist. Nur wo lässt es sich greifen, auch in seiner materiellen Form nachweisen? Mir ist, als hätten Krankheit und Operation hier zu Veränderungen geführt. Ich lege etwas aus der Hand und suche es Sekunden später. Ich konstatiere substantielle Veränderungen meiner Persönlichkeit. Vom Geizkragen zum Shopping Monster, vom Kritik-Schlucker zum unbeherrschten Meckerkopp. Und demnächst zum unausstehlichen Haustyrann?

04.07.2023 12:30

Es ist so ermutigend, wenn alles, oder fast alles wie auf ein geheimes Zeichen hin schief läuft. Nun gut, zumindest zum Thema Thai-Visum gibt es wohl Entwarnung. Zwar hatte der Listenprüfer handschriftlich „Notfall-Einfachvisum“ auf den Antrag geschrieben, doch als ich dem Antragsengegennehmer, nachdem ich mich für den Ausfall am Vortag entschuldigt hatte, die Situation erläuterte, schrieb er sechs Monate Mehrfachvisum auf das Blatt. Da auch die dafür üblichen 5.000 Baht kassiert wurden, scheine ich nun am Donnerstag Nachmittag stolzer Träger eines solchen Passierscheins zu den weiteren medizinischen Maßnahmen werden zu können. Alles in allem, eine ziemlich entwürdigende Prozedur. Dann ging es weiter im Reigen der Absurditäten: Sticker-Shop geschlossen. Nun schon zum zweiten Mal. Auf den Kontaktversuch per WhatsApp war auch keine Antwort gekommen. Schwimmen die im Geld oder was hält sie von ihrem Job ab? Außendienst?

Da mein Telefon seit Khon Kaen unendlich lange braucht, die Batterie wieder auf einen akzeptablen Ladezustand zu heben, zum SAMSUNG-Service gefahren. Kostenvoranschlag für neue Batterie, Ladebuchse und Lagegerät: 1,8 Millionen Kip. Da gibt es eine ganze Reihe von Modellen, die neu nicht heranreichen. Und das Handy ist fünf Jahre alt. Die Killerkondition allerdings war dann eine Wartezeit von einer Woche bis zur Lieferung der Ersatzteile. Auch das Mi7-Fitnessband zeigte plötzlich Schwächen und ließ sich einfach nicht mehr aufladen. Hier schaffte das bloße Reinigen der Kontakte glücklicherweise Abhilfe.

03.07.23 19:30

Ich schleiche wie mein eigener Geist durchs Haus, starre durch die rasch ausweichenden Nichten hindurch, als wären sie die Zombies und nicht ich. Es war ganz sicher etwas zu viel heute. Team Meeting online 10:00 – alles OK. Dann 11:00 zum Thai-Konsulat wegen Visum. Direkt zum Schalter vorgegangen, doch bremst der Dokumentenstapler gleich ab: diese Woche gebe es keine freien Termine mehr. Ich habe ihm meinen Reissverschluss auf der Rübe gezeigt und ihn wirklich unfreundlich angemacht, was mir augenblicklich leid tat. Er war bislang immer korrekt und hilfsbereit. So eigentlich auch jetzt. Man werde meinen Fall den Konsulatsmitarbeitern vortragen, und die würden dann entscheiden, ob sie am Morgen des 04. Juli meinen Visaantrag entgegennehmen könnten. Immerhin fertigte er eine Kopie der nächsten Arzttermine zur Vorlage bei den Beamten. Hilfreich wäre noch ein Nachweis über ein Bankguthaben von mehr als 200.000 Baht (knapp 5.300 EUR). Daran soll es nicht scheitern. Also noch eine Stunde auf der Bank, wo man eine solche offizielle Bestätigung erst beantragen muss. Dann neue Passbilder machen, da sich mein Äußeres in den letzten Wochen nicht unerheblich veränderte, und zwar nicht zu meinem Vorteil. Schließlich zur Telefongesellschaft, um San’s Telefon in Thailand endlich ins Internet-Roaming zu bekommen.  Noch ein paar notwendige Besorgungen hier und da und es war flugs 18:00 Uhr und ich bin wirklich wie mein Telefon: Batterie kurz vor der Tiefstentladung. Aber noch immer ist nicht Schluss. Inzwischen hat sich das Autimuszentrum Zürich gemeldet und Unterstützung für den Umzug zum neuen Zentrum angeboten. Also noch eine Runde an den Rechner. Ich weiß, vernünftig ist das nicht, aber notwendig.

Rückblende 4

Es war eine langwierige uund oft auch schmerzhafte Herausforderung, die speziellen Bedürfnisse von Marcel herauszufinden. Ein Junge mit überdurchschnittlichen motorischen Fähigkeiten, der es beispielsweise fertigbrachte, im gut besuchten Parcours im Obergeschoss des Charoensi Plaza in Udon mit einem elektrischen Spielzeugauto minutenlang umherzufahren, ohne selbst einen Zusammenstoß zu verursachen. Was genau das Gegenteil des Ziels der anderen Kinder war, für die die ineinander krachenden Fahrzeuge größte Gaudi bedeutete. Er lernte auch ganz schnell, mit dem Fahrrad zu fahren und fuhr dann auch schnell – ohne hinzufallen oder jemand umzufahren. Es dauerte allerdings ziemlich lange, bis er die Funktion von Bremsen verstand. Auf dem Weg zu diesem Verständnis waren oft die nackten Fußsohlen der einzig genutzte Bremsmechanismus. Die Fahrradtouren vor dem Haus waren in anderer Hinsicht aber auch nicht ungefährlich. Marcel war zu schnell und es bestand stets die Gefahr, dass er Geschwindigkeit und Geschicklichkeit dazu nutzen würde, den Sicherheitposten am Ausgang unserer Sackgasse zu überwinden, um auf die stark befahrene Hauptstraße zu gelangen. Er kannte da keine Angst, hatte keinerlei Gefühl für Gefahren. Aber wir.

Es dauerte seine Zeit, bis wir herausfanden, dass ein ganz fundamentales Bedürfnis Auslöser für schlimme Exzesse werden konnte: Hunger! Bekam er nicht zur routinemäßig eingestellten Zeit die benötigte Kalorienzufuhr, wurde der Junge erst unruhig, im Extremfall aggressiv. Noch heute zeigt sich das daran, dass Marcel nach Überschreiten einer Zeitschwelle, beispielsweise wenn wir im Auto unterwegs sind, plötzlich die Lautstärke bis zum Anschlag aufdreht, Augen und Kopf verdreht und repetitive Handbewegungen ausführt. Ein früher Versuch, dem mit rascher Zuckerzufuhr durch eine Pepsi, beizukommen, ging in komplett in die andere Richtung los: begann, stramplend das Auto zu demolieren. Steile Lernkurve. Ähnlich verhielt es sich beispielsweise mit Fahrtrouten. Bei unseren Touren nach Thailand mussten wir beispielsweise die verschiedenen Standard-Einkaufstempel stets in der gleichen Reihenfolge ansteuern, in Vientiane griff Marcel gar ins Lenkrad, als ich einen anderen als den üblichen Weg zu seinem Kindergarten einschlagen wollte. Schließlich kam die Zeit am Santisouk Montessori Kindergarten zu ihrem Ende, da Marcel mit sechs Jahren das Alter erreicht hatte, in dem man zumindest die Vorschule besucht. Zudem stießen auch Ausbildung der Erzieherinnen und das Montessori-Motto der Spielhaus-Stufe („Hilf mir, es selbst zu tun.“), an ihre Grenzen. Ein befreundeter Sonderschulerzieher brachte es auf den Punkt, als er sagte: „Kinder lernen spielend, Kinder mit Autismus müssen mit sehr großer Unterstützung spielen lernen.“ Manchmal gehört da auch eine gute Portion Drill dazu.

All diese Zeit über war Wasser seine große Leidenschaft. Stundenlang konnte er beobachten, wie das Wasser aus einem Schlauch durch den Baukies für unser neues Haus rann. Oder er saß in Eimer oderWanne und vergeudete flaschenweise Badeschaum, Shampoo oder Geschirrspüler um wilde Schaumgebilde zu erschaffen. Auf  Santisouk folgte die Sopha-Privatschule. Hier gab es nahezu ideale Bedingungen für eine Gruppe von fünf autistischen Kindern, betreut von zwei Erzieherinnen. Die Schule, geleitet von Mutter und Tochter von den Philippinen mit starken christlich-catritativen Wurzeln, stellte einen speziellen Rückzugsraum für die spezielle Gruppe von Kindern zur Verfügung, die nun in einem im Jahr 2006 noch nicht als Inklusionsklasse deklarierten Ansatz den Vorschulunterricht gemeinsam mit anderen Kindern bestreiten oder eben bei Überlastung das Refugium aufsuchen konnten. Die Filippinas hatten eine gut besuchte Musterschule aufgebaut und einen Platz für Kinder mit besonderen Bedürfnissen geschaffen. Es schien alles in bester Ordnung. Bis zum Ende des Schuljahres. Dann meinte der einheimische Besitzer, ohne die sicher nicht billigen ausländischen Kräfte weit besser auskommen zu können. Eine seiner profitorientierten Festlegungen: „Als Erstes schaffen wir die Idioten ab!“ Plötzlich standen fünf Kinder buchstäblich auf der Straße. Zu dieser Zeit hatte ich etwas Geld zur Seite legen können, wir hatten unser Grundstück durch Erwerb des nachbarlichen annähernd auf die doppelte Größe gebracht und begonnen, ein zweites Haus zu bauen. Das war eigentlich dazu gedacht, dauerhaft eine sichere Einnahmequelle für die Familie zu werden. Das Konzept war für Laos neu. Mir schwebte eine Art „co-working – co-living space“ vor, der vor allem für Experten ausländischer Hilfsprojekte, wie es sie in Laos zu hunderten gab eund gibt, interessant sein könnte. Ich hatte solche Expertenkonzentrationen in einigen Mittelklassehotels kennengelernt und meinte, das besser anbieten zu können. Meist erhielten die Experten, die zwei bis drei Monate vor Ort waren, eine Pauschalzahlung und hatte havon alle Ausgaben zu bestreiten. Der Nebeneffekt der Ballungen war ein Informationsaustausch, wie man ihn sich zwischen den verschiedenen unterstützten einheimischen Stellen nicht hätte besser wünschen können. Vier Schlafräume, jedes mit eigenem Bad, für damalige Zeiten schnelles und kostenloses Internet sowie große Gemeinschaftsessküche und ein großer Aufenthalts- und Arbeitsraum mit Kaffeebar sollten wie der attraktive Garten die Anziehungspunkte sein. Auch die Bereitstellung von Motorollern war angedacht. Für meine Begriffe im Jahr 2008 ein geradezu umwerfendes Konzept. Die Realisierung begann, auch was die Auswahl der Baumaterialien wie Fliesen, Fenster und Möbel betraf.

Dann kam etwas dazwischen. Es war der Autismus. Die Zahl der für ihre Kinder Hilfe suchenden Eltern nahm zu, die Fünfergruppe konnte schon vor dem Rauswurf nicht erweitert werden. Also zurück zu alten Konzepten, nun in neuem Gewand und Gebälk. Doch die in der Regel thailändischen Fachleute sollten nicht mehr mit hohem Zeitverlust zwischen den Familien pendeln, sondern die Schlafräume im neuen Haus beziehen. Inklusiv gedacht, sollten die Kinder dann die normalen Unterrichtszeiten in Kindergärten und Schulen verbringen und zusätzlich stundenweise im neuen Haus therapeutisch betreut werden – von den einzelnen Fachleuten, Logo-, Ergo-, Physio- und was sonst noch für Therapeuten. Auch keine schlechte Idee, im Gegensatz zur ersten nur ohne die erhoffte und eigentlich notwendige Einkommenswirkung.

Nun standen die kleinen Autisten auf der Straße und die Eltern machten sich auf die Suche nach Ersatz. Eine kleine, saubere Privatschule war relativ schnell gefunden und auch der Spruch von den besonderen Anforderungen von der Betreiberin bereitwillig akzeptiert, ebenso wie die Vorauszahlung für ein halbes Jahr. Marcel hatte seinen ersten Tag an neuer Stätte noch nicht zur Hälfte absolviert, als bei San das Telefon klingelte: „Sie können Ihr Geld wiederhaben,“ sagte die Schulbetreiberin. „Doch holen Sie sofort Ihr Kind ab.“

Noch am gleichen Tag wurden alle Planungen individueller nachmittäglicher Therapiestunden über den Haufen, geworfen und am 03. Juni 2009 eröffnete in dem neu errichteten Co-working – co-living space das Vientiane Autism Center (VAC) mit neun Kindern und fünf Lehrkräften, zwei davon ausgebildete Sonderschulpädagogen aus Thailand, als Ganztagsbetreuungsstätte. Einige Zeit später kam in der Familie die Frage auf, warum eigentlich das VAC im neuen, modernen und wenn auch nicht luxuriös, so doch auf gehobenem Standard ausgestatteten Haus residiert und die Familie in der bescheideneren Unterkunft. An einem Wochenende war der Umzug erledigt.

Von Anfang an hatten wir versucht, dem VAC auch eine von den staatlichen Stellen akzeptierte rechtlich gesicherte Grundlage zu geben. Naiv meinte ich, über ausreichend Freunde- und Bekannte im Bildungsministerium zu verfügen, um das gedeichselt zu bekommen. Freund und Administrator kann zwar die gleiche Person sein, doch heisst das keineswegs, dass es eine Verbindung zwischen beiden geben muss. Wir schrieben einen Antrag auf Registrierung als Privatschule, auf Anraten von Freunden mit Machbarkeitsstudie und Geschäftsplan und reichten das Papier bei der damals bestehenden Abteilung für Privatbildung ein. Es kam zu einem Gespräch mit Mitarbeitern, die letztlich meinten, den Antrag abschlägig bescheiden zu müssen. VAC sein ja keine Schule im eigentlichen Sinn, da es keinen Versetzungsmechanismus von einer Klasse zur nächsthöheren gebe. Ich glaube, da waren wir der Zeit voraus, denn das Ziel war ja ein Inklusionsansatz, bei dem Betreuung und Therapien im VAC, der eigentliche schulische Part dagegen in umliegenden allgemeinbildenden Schulen angeboten werden sollte. Ein exemplarischer Wortwechsel ist mir noch gut in Erinnerung:

Privatbildung (PB): „Also wir wissen nicht, was das ist.“

MS: „Dem kann man leicht abhelfen. Kommt uns doch einfach besuchen.“

PB: „Das geht nicht.“

MS: „Und warum nicht?“

PB: „Das hieße ja, dass wir Euch anerkennen.“

Schönen Gruß von dem bis zwei Meter fünfzig groß wachsenden, nackthälsigen wie großäugigen südafrikanischen Laufvogel.

Kurze Zeit später hatte der stellvertretende Bildungsminister deutlich weniger Berührungsängste, denn er besuchte das VAC und zeigte sich deutlich angetan. Nicht nur die Organisation der Betreuung, Gruppen von fünf Kindern mit je zwei Betreuern, sondern die Eigenproduktion und der Einsatz einer Vielzahl von Lern- und Lehrmitteln zur Unterstützuung der kognitiven, sensorischen wie motorischen Fähigkeiten riefen, ich kann es nicht anders beschreiben, Begeisterung hervor. Nur in der Sache selbst gab es weiter keinen Fortschritt.

Dann kam ein Schreiben vom Bildungsminsterium, das ich bat einzurahmen. Man empfehle, das VAC in die Struktur einer Non-Profit Association (NPA) einzubinden. Das hätte auch den Vorteil, nicht steuerlich veranlagt zu werden. Ein Ding von der Schönheit einer erzgebirgischen Weihnachtstanne.

Nun sollte man ergänzen, dass NPAs zu jener Zeit ein ziemlich heißes Eisen waren, an dem man sich weit mehr als die Finger verbrennen konnte. Auf reichlich internationalen Druck und nach allen Seiten argwöhnisch sichernd war Laos dabei, erstmals Rechtsgrundlagen für Zivilgesellschaftsorganisationen zu schaffen, ohne dabei aus Sicht des Staates zuviel unkontrollierten Wildwuchs zulassen zu wollen. Das Ergebnis und mehr noch seine praktische Umsetzung waren dann auch nicht unbedingt traumhaft.

Immerhin, parallel zum VAC entstand eine Trägerstruktur in Form eine Elternvereins, der ebenfalls Schritt für Schritt beschützt und begleitet, gehätschelt und gepflegt werden wollte, unter Bedingungen, unter denen der landläufige Verein überwiegend Präsidenten-fokussiert daherkommt, ohne jemals auch nur entfernt von einer Unterscheidung zwischen Haupt- und Ehrenamt gehört zu haben. Nicht selten mit der Konzequenz, dass eines wundersamen Tages Präsindent samt Vereinsschatulle abgängig sind. Ich hatte dagegen in acht langen wie schönen Jahren engster Verquickung mit der Handwerkskammer Koblenz ausreichend Gelegenheit, weit mehr als die Begriffe Haupt- und Nebenamt in allen Lagen der Dur- und Moll-Tonleitern hoch und runter zu trällern. Das prägt fürs Leben, besonders, wenn der Stempel von solch eindrucksvollen Persönlichkeiten wie Hauptgeschäftsführer Karl-Jürgen Wilbert geschwungen wird.

Dann lag da Ende 2009 diese Einladung auf dem Tisch. Sie kam von einem mir bis dato unbekannten Asia-Pacific Development Center on Disability (APCD) und lud zur Teilnahme an einem sich harmlos gebenden Workshop zum Thema ‘The Capacity Development of Self-Help Organizations of Persons with Disabilities (CDSHOD)’. APCD, anfangs selbst von japanischen Experten betrieben und seit seiner Gründung massiv von japanischen Einrichtungen unterstützt, pflegte schon länger intensive Kontakte zu den für Menschen mit Behinderungen zuständigen Behörden im ASEAN-Raum, darunter zum laotischen Arbeitsministerium. Auf einmal rückt der Fokus auf Selbsthilfeorganisationen, Zivilgesellschaft. Nun mag ein Ministerium schwer als Selbsthilfeorganisation durchgehen, wenngleich manche Mitarbeiter das durchaus anders interpretieren würden. Aber an dem Brett mit der vorläufigen Aufschrift Lao Autism Association hatte der Bohrer eben begonnen, die allerersten Späne abzuheben. Dass schon ein Name Anlass für ausufernde Diskussionen werden kann, ist keinesfalls eine Laos-typische Marotte. Kamen die beteiligten Eltern rasch bei der naheliegendsten Variante (eben „Lao Autism Association“) auf einen Nenner, so sah die behördliche Seite darin eine Ungeheuerlichkeit: die Begriffe „Lao“ und „national“ seien staatlichen oder quasi staatlichen Einrichtungen vorbehalten. Wir gingen in medias res und schlugen Association for Autism (AfA), den ironisch gemeint Zusatz next to China mochte man auch nicht. Wie man aus dem Namen eine geografische Verortung ableiten kann, bleibt bis heute offen. Selbst ein Zusatz in Klammern war unakzeptabel. Andererseits darf sich bei den Firmen jeder Toilettenpapierhersteller Lao (https://softlao.com) nennen.

Dass die Einladung zu uns gelangte – ein Zufall? Nennen wir es „gelenkten Zufall“, denn der Vater unserer Moblisierungsvorsitzenden war stellvertretender Minister im laotischen Arbeitsministerium.

Der nächste Glückkeks trug die Aufschrift „Autismus“. Dass APCD, das das volle Spektrum der Behinderungen anspricht, für den Workshop das Thema Autismus auswählte, war wohl einem weiteren „gelenkten Zufall“ zu verdanken, denn Mr Akiie Ninomiya, seinerzeit Excutive Director des APCD war auch Vater eines schon erwachsenen Sohnes mit Autismus.

Die Mobilisierungsvorsitzende war vorsichtig und clever genug, der Einladung nicht selbst zu folgen, sondern ihre beiden Berater – ihren Vater und mich – als Beobachter vorzuschicken. Es kam etwas ins Rollen, was sich bis heute dreht. Anwesend waren Vertreter von Elterngruppen oder Organisationen aus neun von zehn ASEAN-Ländern. Einzig Singapur fehlte, dem Vernehmen nach in Ermangelung einer zivilgesellschaftlichen Organisation. Konditionen und Erfahrungen zwischen den einzelnen Organsationen variierten gewaltig. Hatten die National Autism Society Of Malaysia oder The Autism Society Philippines (ASP) schon ein Vierteljahrhundert aktive Unterstützung für Personen mit Autismus und deren Familien auf dem Zähler, so waren die ASEAN-Nachzügler Kambodscha, Myanmar, Vietnam und eben Laos gerade erst angetreten, grundlegende Strukturen zu schaffen. In Bangkok erhielten sie gewaltigen Schub. Schon zu Beginn des Workshops machte Akiie-San deutlich, dass die Gründung einer regionalen Struktur das erklärte Ziel der gesamten Übung war. Wir waren unsicher. Noch gab es AfA formal gar nicht, das sollte der Verein schon Mitglied eines internationalen Netzwerks werden. Ein Mandat für eine solche Entscheidung. Wir beschlossen, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen und auf Macht des Faktischen zu vertrauen.

Ob jung, ob alt, oder in mittlerern Jahren, von der ersten Minute an waren wir wie eine Familie. Ob Christen, Moslems, Buddhisten, Atheisten -was immer für Unterschiede es geben mag, unsere Kinder waren einander so ähnlich, dass es manchmal schon erschreckend war.

Das Zentrum nahm zwar mehr Kinder auf, brauchte aber auch mehr Lehrkräfte und blieb die nächsten vier Jahre lang ein gewaltiger Zuschussbetrieb, im wesentlichen am Leben gehalten durch mich und meine Familie. Ich gebe nicht leicht auf, was ich begonnen habe. Leider öfter schon über den eigentlichen point of no return hinaus. Jedoch in Laos jemand weismachen zu wollen, man tue etwas für die Gemeinheit in gänzlich altruisticher Weise, ist wie das berühmte Kamel durch das Nadelöhr treiben. Ziemlich schnell wurde uns zugetragen, dass da jemand in die Öffentlichkeit streute, wir würden und an dem Zentrum krumm und dumm verdienen. Was mich besonders ärgerte: zu der Zeit hatten wir eben noch einmal 30.000 Dollar für einen Anbau mit weiteren drei Klassenzimmern nachgeschossen.

Nun war uns auch der Name der Parolenverbreiterin durchgestochen worden und bei der nicht viel später stattfindenden Mitgliederversammlung trug ich ihr an, doch für die Kontrollkomission zu kandidieren. Da könne sie den Weg jedes einzelnen Kip nachverfolgen. Sie lehnte ab. Keine Zeit.

Marcel wuchs und war ein sehr hübscher Junge. Im Inklusionsansatz besuchte er, gemeinsam mit den anderen Autisten und begleitet von VAC-Lehrkräften als Unterstützung, eine nahegelegene Grundschule. Eines Tages stand dann ein Mädchen vor unserem Tor und fragte, ob sie mit Marcel spielen könne. Es war nicht leicht ihr zu erklären, dass man mit Marcel nicht einfach so spielen könne. Es wurde eher schwieriger. Schon in den Tagen vielfacher Arztbesuche auf Irrfahrt zu einer brauchbaren Diagnose hatte er aufgrund seiner Erfahrungen eine tiefgreifende Abneigung gegen alles Medizinische entwickelt und setzte sich gegen Untersuchungs- und Behandlungsversuche auch körperlich zur Wehr. Anfangs einfach körperlich unterlegen, fügte er sich dem Zwang, wir meinten das medizinische Ziel im Mittelpunkt und hatten das übergeordnete Kindeswohl im Blick – eine komplett falsche Strategie, wie sich schon wenig später herausstellte. Marcel hatte sich unbemerkt ein Stück Radiergummi, eines dieser Endstücke an Bleistiften, ins Ohr gesteckt. Das hatte sich infiziert, was nach ein paar Tagen nicht nur mit unangenehmen Gerüchen für die Umwelt sondern ganz gewiß auch mit Schmerzen für ihn selbst verbunden war. Doch ließ er niemanden an sich heran, um einmal genauer nachzuschauen. So fuhren wir dann schließlich ins AEK Udon. Es gelang vier erwachsenen Personen nicht, Marcels Kopf so zu fixieren, dass der HNO-Arzt hätte nachschauen, geschweige denn eine Sonde oder ein simples Saugrohr einführen können. Da war er nocht nicht einmal fünf Jahre alt. Der finale wie radikale Vorschlag: OP unter Vollnarkose. Dazu brauchte es eine Injektion und der ungleiche Kampf fünf gegen einen begann von vorn. Dieses Mal erfolgreich für die weiß-grün gekittelte Übermacht, doch mit den zu erwartenden mentalen Folgen für den Unterlegenen. Marcels Ohr war wieder frei und der Junge für viele Jahre traumatisiert. So sehr, dass es nicht gelang, ihn auch nur in die Nähe der Tür zum Raum mit Waage und Größenmesslatte in der Kinderabteilung des AEK Udon zu bekommen, wenn sein kleiner Bruder dort untersucht wurde.

Bitte kein lindgrün
Bitte kein lindgrün

Dabei sollte es noch schlimmer kommen. Im darauffolgenden Jahr durchleben wir eine Neuaufführung des Stückes in nahezu unveränderter Besetzung, nur dass dieses Mal der Gummi in der Nase steckte und Marcel ein Jahr älter und entsprechend kräftiger war. Es half nichts, letztendlich wurde er mit schierer physischer Gewalt gebändigt. Alle litten, neben Marcel, dessen Aversion gegen die Mediziner sich nun ins Chronische steigerte, wohl vor allem San, die stets an vorderster Linie dabei sein wollte. Deshalb übernahm ich bei nächster Gelegenheit die Verantwortung und den Jungen. Die Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten, und es galt, für Labortests Blut abzunehmen. Ich hielt Marcel auf dem Schoß, umklammerte ihn mit beiden Armen fest wie ein Schraubstock. Er schrie, ich heulte und wusste, dass das keine Lösung sein konnte. Später fanden wir eine Lösung. Und zwar als Resutat der allgegenwärtigen Digitalisierung. Hatte Marcel sich schon beim Thema Haareschneiden, in seinen jüngeren Jahren kein leichtes Unterfangen, von den kostenlosen und fast allen Mitschülern der Grundschule genutzte Einheitsschnittangeboten durch Augenschein überzeugen lassen, so hob ich das nun auf die Youtube-Ebene, indem ich Videos von Kindern etwa seines Alters beim Blutabnehmen fand und mit ihm ansah und besprach. Es fuktionierte besser als gedacht und schon bei der nächsten Gelegenheit ließ er die Nadelstecherei über sich ergehen.

Zurück zu den angstgeprägten Tagen. Auf dem Weg nach Pattaya übernachteten wir in einem sehr schönen Resort in Korat. Das heißt, wir wollten. Schon ziemlich spät angekommen, checkten wir ein und eine Resort-Angstellte begleitete uns zu einem Bungalow. Sie öffnete die Tür, um uns einzulassen. Doch Marcel blieb auf dem Absatz vor der Tür stehen wie angenagelt. Der Grund war rasch gefunden: die Bettwäsche hatte exakt die gleiche lindgrüne Farbe, wie die Kleidung im Krankenhaus. Nach etwa einer halben Stunde Erklärungen – die Resort-Mannschaft war fast schon dabei, andersfarbige Bettwäsche aufzuziehen – lenkte er ein. In Pattaya, genauer am Jomtien Strand, verlebten wir ein paar ruhige Tage, wenn auch Marcel, sonst nur schwer von Wasser aller Art zu trennen, nach zwei Tagen nur noch wenig Neigung zu ausgedehnten Wassenspielen zeigte. Das Salzwasser brannte wohl zu stark in den Augen.

Sprung zurück nach Bangkok, wo noch immer 30 Vertreter aus neun ASEAN-Ländern zusammen sitzen, um eine neue internationale Organisation aus der Taufe zu heben. Dem schloss sich die Teilname am Thailändsichen Autismuskongress am 16. und 17. Dezember an. In Thailand selbst hatte das Thema Autismus mit dem Tsunami 2004 eine ganz neue Dimension erhalten. Prinzessin Ubol Ratana Rajakanya, ältestes Kind des thailändischen Langzeitkönigs Bhumibol Adulyadej, war während ihres Studiums am Massachusetts Institute of Technology dem Ruf ihres Herzens gefolgt und nicht standesgemäß die Ehe mit dem US-Bürger Peter Ladd Jensen geschlossen, worauf der König Bhumibol sie ihrer königlichen Titel enthob. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, deren zweites und einziger Sohn, Bhumi Jensen (kurz Khun Poom), 1983 auf die Welt kam. Schon bald wurde bei Khun Poom Autismus diagnostiziert, dank intensiver Betreuung konnte der königliche Enkel aber weitgehend selbstständig leben, studierte Sportwissenschaften an der Kasetsart Univesität. Nach der Scheidung von Jensen im Jahr 1998 kehrte Ubol Ratana 2001 gemeinsam mit ihren Kindern permanent nach Thailand zurück und übernahm auch wieder königliche Pflichten. Vor allem ihre Stiftung zum Kampf gegen Drogen wird gewürdigt. An jenem verhängnisvollen 26. Dezember 2004, so wurde rekonstruiert, war Khun Poom in Khao Lak auf dem Rückweg von Jetski-Fahren zum Hotel, als die Tsunamiwelle ihn überraschte. Sein Körperwurde am Tag darauf am Strand gefunden. Zum Andenken und zur Unterstützung für Personen, speziell Kindern, mit Autismus und anderen Behinderungen gründete sie kurz darauf die Khun Poom Stiftung. Dieser Prinzessin, die sich auch als Schauspielerin einen Namen gemacht hatte und später sogar in die Politik gehen wollte, was ihr ihr königlicher Bruder dann aber untersagte, sollten wir nun von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Die Audienz, in deren Verlauf die Thai-Autismus-Organisationen Stipendien erhielten. Die ausländischen Delegationen erhielten jeweils einen Aufsteller aus Acryglas mit dem Logo der Khun-Phoum-Stiftung. Um 16:00 sollte die Prinzessin nach einer Programmänderung in Erscheinung treten, weshalb die Kongressteilnehmer und Gäste gleich nach dem Mittag zum Ort des Geschehens gebracht. In mehreren Durchgängen exezierten die rud 300 Leute königliches Protokoll: wie stellt man sich in einer Reihe auf, wie nähert man sich einer Prinziessin, mit welcher exakten Handbwegung nimmt man die Trophäe aus blaublütiger Hand entgegen und wie macht man den perfekten Abgang. Richtig schwierig war das nicht, aber ziemlich ermüdend. Für mich war von Beginn an klar, dass ich mich der exakt bemessenen Verbeugung vor der Prinzessin entziehen und stattdessen dem Co-Berater den Vortritt einräumen würde. Dies war, glaube ich, eine wenn nicht die letzte Gelegenheit, bei der ich eine Krawatte trug. Danach war der Schlips ab und ich wechselte komplett zu Lao-Hemd als protokollarisch gleichwertigem Ersatz.

Mag für viele Teilnehmer die monarchische Audienz der Höhepunkt des Thai-Autismus-Kongresses gewesen sein, so war mein persönlicher Zenit schon am Vortag erklommen worden. Am Nachmittag des zweiten Kongresstages waren jeweils zehnminütige Grußansprachen der neun Delegationen vorgesehen. Laos stand als letztes Land auf der Liste. Englisch war als Sprache vorgegeben, der Veranstalter sorgte für eine Thai-Übersetzung. Aus Tagen diplomatischer Tätigkeit war mir von Anfang an klar, was passieren würde: die Redner verstanden die zehn Minuten als ihre Redezeit, die Veranstalter inklusive Übersetzung. Auf jeden Fall war der Zeitplan hoffnungslos überzogen, als Laos aufgerufen wurde. Ich trat ans Rednerpult und sah in viele müde Gesichter. „Um als letzter Redner vor dem verdienten Feierabend nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln“, begann ich, „schlage ich vor, Lao zu sprechen.“ Ein Raunen ging durch den Saal, vereinzelt Gelächter. Was dann kam, ist mir bis heute unverständlich. Ich, der mit Empathie und Emotionen so viel am Hut hat wie ein Mückenschwarm mit der Tiefseeforschung, bekam weiche Knie. Meine Stimme versagte, dicke Tränen rollten über meine Wangen. Da saßen 300 Leute vor mir, die hatten alle das gleiche Problem. Ihre Kinder ähnelten Marcel wie Kücken aus dem gleichen Nest. Ich war schlicht überwältigt. Wenn nicht emotional überfordert.

02.07.2023 14:30

Endlich wieder zu Hause. Exakt 13:11 verließen wir die Grenzstation Nongkhai Richtung Laos. Aus Khoan Kaen hatten wir uns in aller Herrgottsfrühe, sprich mit Anbruch der Dämmerung, auf den Weg gemacht und so aus der Not eine Tugend: wir konnten in aller Ruhe die vor Jahren übliche Einkaufstour in Udon Thani abarbeiten. MAKRO (öffent schon 06:00), HomePro (ab 08:30 offen), und Lotus’s (08:00). Überall waren wegen der langen COVID-Pause die Bonuskarten abgelaufen. Sonst eigentlich Zeugnis hohen Beharrungsvermögens: Im MAKRO stand wie vor vier Jahren ein Polizist in voller Montour exact auf der Eingangslinie, riss bei jedem eintretenden Kunden die Hand in zackiger Bewegung an die Mütze, bellte sein „Sawatdi Kap“ in den Raum und schlug die eigens zu diesem Zweck stahlbewehtren Hacken seiner schwere Schuhe mit lautem Knall zusammen. Bei Lotus’s ist in der Zwischenzeit der frühere Partner Tesco abhanden gekommen, was die auch damals nicht eben in großer Auswahl angebotenen Waren aus Großbritannien aus den Regalen spülte.

01.07.2023 18:00
SEIKO 16:26
Erster Aufbruch

Der Sekundenzeiger auf der SEIKO-Uhr frisst sich Runde um Runde in die Zeit, um stoisch mit gleichbleibendem Tempo verbrachten Umdrehung eine weitere Minute vergeudet zu haben. Wenn ich etwas richtig hasse, ist es warten. Wenn Zeit so sinnlos wie träge verrinnt, ohne dass das Leben irgendetwas mehr oder weniger Nützliches zustande bringt. Seit 14:00 Uhr warten wir auf die vereinbarte Entlassung aus dem Krankenhaus. Die Rechnung muss zwischen Krankenhaus und Versicherung geklärt werden Ordnung muss sein, wenn es ums Geld geht. Erfahrungsgemäß kann das dauern. Und es dauert. Gegen 16:30 kommt die Vertreterin der Versicherung und gibt das Zeichen zum Aufbruch. Jetzt wäre noch alles zu schaffen, allerdings dann Ankunft an der Grenze schon im Dunkeln, was eher unangenehm wäre. Als wir an der Kasse stehen, will man unser Geld nicht. Man habe eine Abweichung festgestellt und müsse das jetzt prüfen. Also zurück auf die Station und weiter warten. Man stellt eine Differenz von rund 100 Baht (2,50 EUR) fest, und schlägt uns vor, für rund 1.000 Baht in einem Hotel zu übernachten. Ernsthaft jetzt? Gegen 18:00 platzt mir der Kragen. Dennoch versuche ich beherrscht zu bleiben. Ich schlage vor, die Nacht noch im Krankenhaus zu verbringen, kostenfrei, inzwischen die Rechung zu klären und dann Sonntagfrüh loszufahren. Nach einigem hin und her willigt man ein und wir sind zurück im nun servicefreien Krankenzimmer. Gegen 19:00, zu spät um es noch vor Schließung der Grenze bis nach Nongkhai zu schaffen, ist die Neuberechnung fertig. Überraschung! Zwar hat man einige Einzelposten mit Kuli markiert, die Endsumme blieb aber unverändert. Da soll man Ruhe und Verstand bewahren.

01.07.2023 09:00

Ich will arbeiten. Der Wille, ja fast schon Zwang, zu schreiben, drängt sich unbändig in den Vordergrund. Denn der Blick auf mein nun kümmerliches Äußeres lässt anderes kaum erwarten. Ich war nie das, was in Büchern als muskulöse Erscheinung beschrieben wird. Eher ein schmächtiges Bürschchen, das sich nur durch übermäßige Körperbehaarung von den Hühnerbrüstigen absetzte. Doch nun zeigt der Blick die Beine hinab wie auch der in den Spiegel ein recht hilfloses Häufchen aus Haut und Knochen. Will sehen, ob sich durch etwas Sport nochmal etwas Muskelmasse aufbauen lässt. Aber ganz sicher nicht heute.

01.07.2023 07:00

Es ist einfach toll, was sie hier aufgebaut haben. Die Khon Kaen Universität, deren Wachsen ich seit dem ersten Termin in der Kinderpsychiatrie vor knapp 20 Jahren verfolgen konnte, ist eine eigene Stadt mit Hotel, Restaurants, einem verwirrenden Netz von Straßen und Wegen, eigenen Buslinien. 40.000 Studierende in 19 Fakultäten bei 11.500 an der KKU arbeitenden Menschen unterstreichen das deutlich. Auch das Srinagarind-Krankenhaus erhielt zu seinem zweigeschössigen Zweckbau, der